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Friedrich Glauser: Friedrich Glauser liest Kif

Es liest der Autor
Spieldauer: 47:39 Min.
ISBN 3-88897-394-5
München: Antje Kunstmann, 2005

Wenn man wie nicht wenige hierzulande der Meinung ist, ein literarisches Werk müsste unter Schmerzen und Qualen entstehen, dann wäre der Schweizer Friedrich Glauser ein gutes Beispiel dafür. Wie sein Landsmann Robert Walser verbrachte er einen Gutteil seines Lebens in Irrenanstalten, heute sind die beiden neben Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt zwei Säulenheilige der Schweizer Literatur.

Glauser hatte nichts gemein mit dem Typus des bürgerlichen Schriftstellers, der in der geheizten Stube mit einer Tabakpfeife im Mundwinkel über seinem Werk brütet und aus der Perspektive des distanzierten Beobachters den Lauf der Welt reflektiert. Von Opium, Haschisch und Morphium war Glauser abhängig, einen festen Wohnsitz hatte der von seinem Vater Entmündigte nie. Seine Romane und Erzählungen schrieb er da und dort, meist in Irrenanstalten oder Krankenhäusern. Er war ein Junkie, der seine teure Sucht durch Kriminalität zu finanzieren versuchte. Er stahl, betrog und log. Er stürzte in die Hölle und fand immer wieder Menschen, die ihn auffingen. Er habe ein einnehmendes Wesen gehabt, erzählt man über ihn.

Friedrich Glauser wurde 1896 in Wien geboren, besuchte dort die Volksschule und drei Klassen Gymnasium. Im Alter von vier Jahren starb seine Mutter, mit dem strengen Vater, den Stiefmüttern und später mit den Internatslehrern kam er nicht zurecht. Schulwechsel, Übersiedlung in die Schweiz, Selbstmordversuche, Drogen, immer wieder. Krankenhäuser, Gefängnisse, Irrenanstalten, zwei Jahre Fremdenlegion, Arbeit als Gärtner und Bergarbeiter. Und nebenher schrieb Glauser. Mit 20 veröffentlichte er erstmals, lernte in Zürich die Dadaisten kennen. Mitte der 1930er Jahre schaffte er mit seinen Kriminalromanen um Wachtmeister Studer (oft falsch als Schweizer Kopie von Simenons Maigret bezeichnet) den Durchbruch, dazu schrieb er einen Roman über die Fremdenlegion ("Gourrama") und viel Kurzprosa. Neben dem schriftstellerischen Erfolg begann sich endlich auch privates Glück einzustellen, Glauser verliebte sich in Berthe Bändel, seine ehemalige Pflegerin. Am 7. Dezember 1938, dem Tag vor der geplanten Hochzeit, fiel Glauser in ein Koma, aus dem er nicht mehr erwachte.

Glausers Drogenerfahrungen stehen im Mittelpunkt des im Kunstmann-Verlag herausgegebenen, sehr schön gestalteten Hörbuchs "Friedrich Glauser liest Kif". Ein Juwel für Glauser-Fans, enthält die CD nämlich die einzig erhaltene Tonaufnahme des Autors. Am 18. November 1937 las Glauser im Studio der Radiogenossenschaft Basel seine autobiografisch gefärbte Erzählung Kif. Darin schildert der Ich-Erzähler atmosphärisch dicht Drogenerfahrungen in einer nicht näher bezeichneten maghrebinischen Stadt. Der Erzähler raucht mit seinem brüderlichen Freund Mahmoud Wasserpfeife und versucht auch andere Drogen, während Mahmoud auf einem selbst gebauten primitiven Instrument spielt, das aus einem getrockneten Kürbis, einem Stecken und einer Metallsaite besteht. Er "träumt dunkel von Parfümfabriken und Färbereien", döst im schattigen Haus Mahmouds, wird von fremden Stimmen umgarnt. Schließlich knetet ihm im Hamam der Masseur die letzten Reste Kif aus dem Körper.

Glausers Stimme zeugt von den Orten, an denen er gelebt hat, über seinen Wiener Akzent hat sich die alemannische Diktion gelegt, manche Wörter spricht er französisch aus. Eine eigenartige, bemerkenswerte Melange, eine Stimme, der man folgen muss. Er liest relativ schnell, aber gedämpft, moduliert wenig, vielleicht könnte man sein Vorlesen als monoton-behutsames Rufen beschreiben. Leider dauert die Lesung nur eine knappe Viertelstunde.

Ging es in "Kif" um die Beschreibung von Drogenerfahrung, so schildert Glauser in dem ebenfalls deutlich autobiografisch geprägten Text "Morphium. Eine Beichte", gelesen von Michael Evers, den ständigen, ermüdenden Kreislauf aus Sucht und Entwöhnung, Himmel und Hölle. Nach einer Erkältung und einer damit verbundenen Lungenblutung erhält der Erzähler von seinem Arzt Morphium. "Ich hielt das Glück in den Händen. Es war - um einen schlechten Vergleich zu gebrauchen - so, als ob mein ganzer Körper ein einziges Lächeln wäre." So beginnt die Sucht. Er erzählt von den sonderbaren Leuten, die man als Drogensüchtiger kennen lernt, hört fremde Stimmen reden, die ihn in einen Selbstmordversuch treiben, er reflektiert seine Sucht, kann ihr aber dennoch nicht entfliehen. "Im Grunde gibt es nichts Uninteressanteres als das Leben eines Morphinisten: Es beschränkt sich auf Perioden, in denen er das Gift nimmt und auf Perioden, in denen die Gesellschaft ihn zwingt, sich das Zeug wieder abzugewöhnen." Schließlich versucht er es mit einer Psychoanalyse. "Ich bin die Mutter", ist der Satz, um den sich alles dreht.

Dazu enthält die CD biografische Skizzen und Kommentare zu den beiden Erzählungen von Frank Göhre. Zwischen die Erzählungen und Beiträge wurde traditionelle Musik aus Marokko geschnitten, die das Gesagte schön umrahmt. Ein liebevoll gestaltetes Hörbuch und ein "must" für alle Glauser-Fans.

Peter Landerl
13. März 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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