logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

FÖRDERGEBER

   Bundeskanzleramt

   Wien Kultur

PARTNER/INNEN

   Netzwerk Literaturhaeuser

   arte Kulturpartner
   Incentives

   Bindewerk

kopfgrafik mitte

Fritz Grünbaum: Vierweiberei. Erotische Gedichte

Erotische Gedichte ausgewählt und gelesen von Heinz Marecek
Hörwelten
Spielzeit: 60 Min
ISBN 3-7085-0121-7
Wien: Preiser Records, 2005

Als das Kabarett Simpl 1912 in der Wiener Wollzeile seine Pforten öffnete, um das Publikum mit "echtem Brettlsinn, mit Satire und viel Witz" zu unterhalten, war Fritz Grünbaum bereits ein beliebter, in der "Hölle" im Keller des Theaters an der Wien entdeckter Conferencier. Die große Begeisterung des Wiener und Berliner Publikums für den scharfsinnigen, selbstironischen Kabarettisten mit der angenehmen, melodischen und facettenreich eingesetzten Brünner Aussprache lässt sich lebhaft nachvollziehen, lauscht man der einen Originalaufnahme auf der von Heinz Marecek herausgegebenen CD "Vierweiberei" von Preiser Records. "Fritz Grünbaum confériert" ist eine gewitzt eingeführte "Auto-Conférence" darüber, warum Grünbaum seinem Grünbaum nicht über den Weg traut, und eine originelle Variante der Doppelconférence, die das Duo Fritz Grünbaum und Karl Farkas ab 1921 im Kabarett Simpl entwickelt.

"Mein Kollege, der Affe", wie alle restlichen zwölf Gedichte der CD von Heinz Marecek vorgelesen, ist ein weiteres Beispiel der schöpferischen Grünbaumschen Selbstironie. Ein eitler Kabarettist beschwert sich über den Erfolg seines Kollegen Moritz, dessen Darbietungen auf der Bühne angeblich darauf beschränkt sind, dass er sich auf einen Nachttopf setzt, - "Ich bitt Sie, wollen Sie sich vorstellen jetzt, / wie ich mich da auf das Weiße setz? / Ich treff die Kunst auch und ohne Geschrei. / Aber glauben sie, es möchte' mir wer zuschauen dabei?" - und wird schließlich von seinem Publikum selbst "zum Affen" gemacht.

Teils selbstironisch, teils zeitkritisch thematisiert Grünbaum seine Situation als Jude in einer Stadt, in der Antisemitismus Tradition und längst salonfähig geworden ist, wie etwa im Gedicht "Grünbaum", das in dem vom Molden Verlag herausgegebenen und die CD ergänzenden Band "Vierweiberei" abgedruckt ist: "Leute, die, Grünbaum genannt, herumlaufen, / Haben eben Tuch zu verkaufen, / Sie eignen für lyrische Stoffe sich nie, / Brünner Stoffe, das ist was für sie!" (Fritz Grünbaum: Vierweiberei. Erotische Gedichte ausgewählt von Heinz Marecek, Wien, Molden Verlag, 2005, S. 104)

"Ich schwitze die Verse nur so heraus", heißt es im selben Gedicht. Bereits als junger Student der Jurisprudenz in Wien habe Grünbaum an der fixen Idee gelitten, dass zu wenig gelacht würde, und nur im Kabarett sei es möglich, seinem Publikum die Wahrheit zu sagen und dieses gleichzeitig zu unterhalten. Dem Kabarettkünstler empfiehlt Grünbaum zwar, er möge die anspruchsvolle Muse entlassen, doch zieht er in seinen einprägsamen Paarreimen sämtliche Register der Poetik und Rhetorik, von der pathetischen Ausschmückung und wortreichen Wiederholung über das verspielte Understatement, die jargongefärbte Analogie und die Sympathie heischende Exklamation bis hin zur für erotische Gedichte natürlich besonders wichtigen Kunst der Aussparung und feinen Anspielung etwa durch die metonymische Einschaltung des Umfelds der Handelnden, wobei Grünbaum immer wieder betont, wie gut es doch sei, dass Dinge wie zum Beispiel ein Klubfauteuil nicht sprechen können: "Das Liebespaar plaudert, das Sofa ist still!" (aus "Die Schöpfung").

Mühelos behaupten sich Grünbaums zeitkritische Pointen in einer gesellschaftlich veränderten Gegenwart. Ob er in seinen Gedichten nun ein Lob auf die Polygamie spricht oder den Sinn einer Eheschließung hinterfragt, ob er den Lesenden hilfreich die Kunst erklärt, wie man ein Verhältnis beendet, die Bedeutung eines Hausfreunds für eine glückliche Ehe ausmalt oder ein Kussvergnügen mit dem Genuss beim Verzehr eines Gulaschs vergleicht, stets überrascht die an Heinrich Heine anklingende Ironie mit einer ernüchternden Wendung. Elschen und ihre vier Liebhaber belustigen ebenso wie die süße Cecilie im fernen Seebad, die ihren Mann betrügt, während sie diesem einen ersten Brief schreibt.

Wie Georg Kreisler in einer Hommage schreibt, hinterlässt Grünbaum seinen bleibenden Witz, seinen Charme, seinen Humor, seinen Pazifismus und seine Menschlichkeit (Fritz Grünbaum: Die Schöpfung und andere Kabarettstücke. Herausgegeben von Pierre Geneé und Hand Veigl, Löcker Verlag, Wien, München, 1984, S. 8) Im berührenden Begleittext zur CD bekennt sich Heinz Marecek zu seiner "Liebe auf den ersten Laut" und betont, dass sich das Wiener Kulturleben und damit auch das Kabarett vom mörderischen Treiben der Nazi-Horden nie wieder erholt hat. Marecek ist es zu verdanken, dass mit dieser CD an das Wirken des Meisterkabarettisten erinnert wird.

Sabine Mayr
14. November 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suche in den Webseiten  
Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Junge LiteraturhausWerkstatt

Mo, 05.02. bis Mi, 07.02.2018, 15.00–19.00 Uhr Dreitägiger Schreibworkshop für...

Verleihung der Übersetzerpreise der Stadt Wien 2016 & 2017

Do, 08.02.2018, 19.00 Uhr Preisverleihung & Lesung Der mit € 3.700 dotierte Übersetzerpreis...

Ausstellung

Tipp
flugschrift Nr. 22 – Paul Divjak

Mit Rebranding flugschrift greift der Autor und Künstler Paul Divjak das Thema von...

Incentives – Austrian Literature in Translation

Neue Beiträge zu Clemens Berger, Sabine Gruber, Peter Henisch, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Barbi...