Leicht gekürzte Hörbuchfassung
Sprecherin: Iris Berben
Regie: Walter Adler
12 CDs
Spielzeit 873 Min., 20-seitiges Booklet mit s/w-Fotografien
ISBN: 978-3-9523087-4-5
Dänikon/Zürich: Hörkultur Medien AG, 2007
Der hier in der Hörbuchfassung vorzustellende Roman "Manja" von Anna Gmeyner wurde 1938 als Exilroman im Querido-Verlag, Amsterdam unter dem Pseudonym Anna Reiner veröffentlicht. Erst in den letzten Jahren wurde er von der Literaturwissenschaft entdeckt und ist selbst hier meist nur den Exilliteratur-Spezialisten ein Begriff. Der hörkultur-Verlag präsentiert mit der Vertonung von Gmeyners Text ein Fundstück der deutschsprachigen Exilliteratur, das sich durchaus mit Exilromanen von Lion Feuchtwanger oder Ödön von Horváth messen lassen kann. Anhand der Geschichten von fünf Kindern und ihren Familien in den Jahren 1920 bis 1934 erzählt der Roman vom Scheitern der Weimarer Republik, dem zunehmenden Einfluss der Nationalsozialisten und der Etablierung eines Angst- und Terrorregimes nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933. Dargestellt werden die Mechanismen aus Gewalt, Denunziation und ideologischer Kontrolle, die die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben zunehmend auflösen, dem Einzelnen einen Ausweg in familiäre oder politische Rückzugsräume verstellen und gelebte Gegenwelten ersticken. Die Gemeinschaft und unbedingte Freundschaft von fünf sehr ungleichen Kindern ermöglicht jedoch eine Gegenrealität zu dieser rauen Wirklichkeit.
Die Kinder kommen aus Familien mit unterschiedlichem sozialem und ideologischem Hintergrund. Die den Freundeskreis zusammenhaltende und alle Protagonisten miteinander verknüpfende Figur ist das Kind Manja. Sie wächst in der Familie der verarmten ostjüdischen Einwanderer Lea und Leo Meirowitz auf und wird von letzterem irrtümlich für seine Tochter gehalten. Daneben treten Karl, der Sohn einer klassenbewussten, politisch engagierten Arbeiterfamilie, und Harry auf, Sohn des jüdischen Kriegs- und Inflationsgewinnlers Max, eines Patriarchen, der seine Frau Hilde mit seinem Despotismus in den Wahnsinn treibt. Komplettiert wird die Kinderclique durch das gegensätzliche Freundespaar Franz, Kind späterer faschistischer Kleinbürger, und Heini, der aus der Familie eines liberalen und konfessionslosen Arztes stammt. Die Geschichte setzt mit der Zeugung der Kinder ein und erzählt aus der Sicht der Frauen von Liebe, aber auch von ehelichem Hass und stumpfer Gewohnheit.
Insgesamt kommen die männlichen Protagonisten im Romangeschehen nicht allzu gut weg. Auch der nationalsozialistische Terror verdichtet sich schließlich in einer männlichen Gewalttat: der Vergewaltigung der noch nicht dreizehnjährigen Manja durch einen Schulversager, der sich großtuerisch zum Anführer des 'Jungvolkes' aufschwingt. Der sexuelle Übergriff demonstriert auf drastische Weise die vermeintlichen Besitzansprüche der 'Herrenrasse', mit denen zum Teil auch schon das Denken der Kinder und Jugendlichen infiziert ist. Die im Zentrum des Romans stehende Manja zerbricht an dieser Gewalttat. Zugleich bedeutet sie für das gesamte Freundesquintett das abrupte Ende der Kindheit und zerstört ihre in Vertrautheit und kindlicher Phantasie gegründete und von der Autorin als Gegenwelt zur Ideologie der Nationalsozialisten konzipierte Gemeinschaft. Mit Manjas Freitod endet der Roman. Die in der Freundschaft mit diesem ungewöhnlichen Mädchen erfahrene menschliche Nähe bildet jedoch eine Erfahrung, die über ihren Tod hinaus in eine mögliche Zukunft weist und damit trotz des erfahrenen Leids eine utopische Möglichkeit beinhaltet. Die Geschichte endet hoffnungsvoll.
In Anlehnung an die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit schildert Anna Gmeyner in ihrem Roman repräsentative Vertreter einzelner Gesellschafts- und Bildungsschichten der Weimarer Republik. In der Beschreibung dieser Schicksale entfaltet sie ein Zeitpanorama, geht jedoch in der Schilderung psychischer Dispositionen über die typisierte Figurendarstellung hinaus und individualisiert ihre Figuren in der Charakterdarstellung. Iris Berben gelingt es in ihrer Lesung des Textes diese individuelle Figurencharakterisierung überzeugend akustisch zu vermitteln. Von einem Satz zum nächsten passt Berben die Stimmmodulation und Klangfarbe den unterschiedlichen Figuren an. Ihre Stimme nimmt mal den hellen Klang von Kinderstimmen, mal den kratzigen und rauchigen versoffener Bierhausstimmen an, um dann abrupt in das bellende Befehlsgehabe eines vom Kleinbürger zum einflussreichen SS-Schergen aufgestiegenen Mannes zu kippen, das kontrastiert wird vom ruhigen und überlegenen Klang des intellektuellen Arztes oder der gehetzten Stimme des sich vor den neuen Machthabern auf der Flucht befindlichen sozialistischen Arbeiters.
Der stark ausgeprägten Dialogizität des Romans ist es anzumerken, dass die Autorin Anna Gmeyner ursprünglich vom Theater kam. Die mediale Adaption des Romans als Hörbuch setzt diese bereits im Text angelegte Vielstimmigkeit auf gelungene Weise um und stellt damit eine geglückte intermediale Bearbeitung dar. Auch die Visualität der Sprache Anna Gmeyners sowie ihre zum Teil filmische Schreibweise werden durch die Vertonung unterstützt, insofern die Vielschichtigkeit des Vortrags in der Imagination des Zuhörers Bilder evoziert. In der Lesung durch Iris Berben wird das Hörbuch zu einem 'Hörkino' der Vorstellungskraft. Dabei wird der Hörtext ausschließlich durch die schwebende Stimme der Sprecherin getragen. Auf Hintergrundsgeräusche verzichtete der Hörspielmacher Walter Adler, dem die Regie oblag.
Mit Anna Gmeyners "Manja" liegt ein vergessener Deutschlandroman des Exils vor. Zu hoffen ist, dass der Roman "Manja" als gekürzte Hörbuchfassung, die immer noch stattliche 14 1/2 Stunden umfasst, nun einem größeren Publikum bekannt wird. Der Roman hätte es verdient; als ein 'document humain' berichtet er in einzelnen Episoden, aneinander gereihten Szenen und Psychogrammen zum Teil minutiös und sachlich, zum Teil in expressiver Sprache aus dem Alltag der Weimarer Republik. Es lohnt sich, diesem eindrucksvollen Buch in der facettenreichen Lesung von Iris Berben einige ruhige Stunden zu widmen. Hervorzuheben ist noch das umfangreiche und aufwändige Booklet mit Fotos, einem einführenden Kurzessay zu Werk und Leben Anna Gmeyners von Birte Werner sowie Kurzbiographien zu Iris Berben und Walter Adler. Die insgesamt 12 CDs werden in einem schön gestalteten Schuber präsentiert.
Ulrike Weymann
28. Oktober 2008
Originalbeitrag
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