Es spricht der Autor
ISBN 3-902123-12-5
Spielzeit: 62:11 Min.
Preiser Records 2001
Alexander Lernet-Holenias umfangreiches literarisches und essayistisches Werk - von Hans Weigel 1948 als "die" österreichische Literatur schlechthin bezeichnet - gehört heute wohl nicht mehr zur Standardlektüre. 1897 als Sohn eines k.k. Linienschiffleutnants und einer Baronin geboren, hat Lernet seine Familienverhältnisse gern mystifiziert: offen blieb, ob er nicht doch vielleicht ein illegitimer Nachkomme des Hauses Habsburg war. Dies als ein Detail, das den Hintergrund für seine lebenslange Beschäftigung mit der Monarchie und dem Haus Habsburg verständlicher machen kann, mit dessen Aufstieg und Fall er sich auf sehr persönliche, eigenwillige und auch provokante Weise immer wieder auseinandergesetzt hat.
Lernet-Holenia, der 1945 in der Zeitschrift "Turm" verkündete: "In der Tat brauchen wir nur dort fortzusetzen, wo uns die Träume eines Irren unterbrochen haben ..." definierte damit das Credo der älteren künstlerisch tätigen Generation mit. Er nahm immer wieder an Kulturdebatten teil, blieb erklärter Gegner der jüngeren und avantgardistischen Literatur. 1972 trat er von der Präsidentschaft des österreichischen Pen-Clubs zurück, die er nach dem Tod Franz Theodor Csokors 1969 übernommen hatte, offiziell aus Protest gegen die Verleihung des Nobelpreises an Heinrich Böll.
Hilde Spiel charakterisierte den Autor so: "Keinem Dichter seiner Zeit eignet wie ihm der Hang zu Rösselsprüngen, Krebsgängen, absichtlichen Irr- und Umwegen zum längst erkannten Ziel." (Hilde Spiel: Die Dämonie der Gemütlichkeit - Glossen zur Zeit und andere Prosa. München: List, 1991, S. 214 ff.)
Lernet, von Zeitgenossen als "literarischer Herr", Grandseigneur der österreichischen Literatur, Dandy und auch rebellischer Konservativer bezeichnet, war als Kolumnist und Leserbriefschreiber gefürchtet, er attackierte öffentlich die österreichische Gesellschaft, alte Nazis, Beamte, Journalisten und trug seine Privatpolemiken mit dem österreichischen Adel, seine Privatfehden mit den letzten Erben des Hauses Habsburg auch in seinen Büchern aus.
Dieser Polemik begegnet man auch in den beiden 1962 bzw. 1963 aufgenommenen Essays. Das Booklet der CD bleibt uns allerdings so gut wie jede Information schuldig, wodurch die beiden Texte ohne Hintergrundwissen - nicht nur bibliografisch - schwer einzuordnen sind. So ist "Aufstieg und Untergang des Hauses Österreich" bereits 1963 als Schallplatte bei Preiser herausgekommen - der erste Teil stammt, so viel erfahren wir gerade noch - aus dem ersten Kapitel von "Prinz Eugen" (1960, Zsolnay Verlag), aber auch der zweite Teil wäre mit etwas bibliografischer Mühe vermutlich zu recherchieren gewesen.
"Kleinbürgertum und Großbürgertum in Österreich" erschien nachweislich 1961 in der von Lernet mitherausgegebenen Zeitschrift "Forum" (Zwischen Groß- und Kleinbürgertum. Notizen zur österreichischen Soziologie. In: Forum. Österreichische Monatsblätter für kulturelle Freiheit, H. 96 (1961), S. 446-448).
Man begegnet einem österreichischen Tonfall, wie es ihn heute tatsächlich nicht mehr gibt. Leicht nasal und gedehnt, über weite Strecken schwingt etwas längst gewohnheitsmäßig Gelangweiltes mit. So stellt man sich den Sprachduktus der Aristokratie der k. u. k. Monarchie vor. Im ersten Teil von "Aufstieg und Untergang des Hauses Österreich" kommt auch noch Didaktisierendes zum Tragen, was der Text auch geradezu aufdrängt - überbordend von Jahreszahlen und Namen wird in nicht einmal acht Buchseiten (kaum etwas wurde für die Tonaufnahme verändert oder weggelassen) die gesamte Geschichte Österreichs erzählt. Fast könnte man, unterstützt auch durch Lernets konservativen Stil, überhören, wie kühn der Autor mit der Geschichte, oder besser ihrer Bewertung umgeht. Seine Kritik äußert sich in schonungsloser Wortwahl: da ist von "Verstiegenheit" und "Selbstverlorenheit", gar von "kaiserlichen Zeloten" die Rede.
Spätestens mit Beginn des zweiten, bibliografisch nicht nachgewiesenen Teils, der mit 1918 einsetzt, wird deutlich, daß es sich um ein Pamphlet, um eine Abrechnung handelt. Auch Lernets Tonfall wird engagierter, verliert seine Lässigkeit. Der österreichische Adel, so Lernet, hat nach dem Ende der Monarchie so gut wie alles falsch gemacht, und vor allem das Kaiserhaus wird aufs schärfste verurteilt: "... ein Titularkaiser hat nicht in Zeitungen zu schreiben ...", Otto von Habsburg habe sich mit seinem Bücherschreiben selbst in das Unrecht gesetzt, in dem er sitzt. Und - der letzte Habsburger, führt Lernet minutiös aus, könne und dürfe so gar nicht heißen, da nur das Haus so bezeichnet wurde.
Mit "Kleinbürgertum und Großbürgertum in Österreich" bietet Lernet eine weitere beißende Analyse - diesmal gegen die Zustände in der Republik, gegen die Sozialdemokratie, gegen die österreichischen Kleinbürger und das Großbürgertum, das sich nur für eines hält. Der Text überrascht, ist voller Bösartigkeit, Wortwitz und treffender Spitzen. Nur derjenige sei ein "wirklicher Österreicher", "der es trotzdem ist", ein "echter Österreicher" sei "keinesfalls auch das, was man einen guten Österreicher nennt - ja je echter er ist, für einen umso schlechteren Österreicher halten ihn die anderen Österreicher, und wenn er sie kritisiert, und das mit noch so vielem Recht, so gehen sie nicht etwa in sich, sondern sie sagen dann bloß, er beschmutze sein eigenes Nest."
Denkt man an die zahlreichen öffentlich geführten Debatten um sogenannte Österreichbeschimpfungeneines Thomas Bernhard (auch er leidenschaftlicher Leserbriefschreiber), einer Elfriede Jelinek beispielsweise, so ist man erstaunt, wie viel an Österreich-Kritik Lernet-Holenia schon vorweggenommen hat. Thomas Bernhard allerdings wurde erst nach seinem Tod so nach und nach die Ehre zuteil, auch in der öffentlichen Meinung als "literarischer Herr" zu gelten.
Originalbeitrag
Ulrike Diethardt
19. März 2002