2 Der Duft der Erinnerung
Es war Reispapier, das ich in der Hand hielt, hellgelbes, rauhes Reispapier. Die Schrift darauf, zierlich und altmodisch mit ihren verschnörkelten Buchstaben, kündigte Antonias Ankunft für den nächsten Tag an. All die Jahre wurden durch drei Zeilen zum Verschwinden gebracht. Seitdem ich den Umschlag geöffnet, das ungewöhnlich dicke Briefpapier herausgenommen, die wenigen Zeilen gelesen hatte, tat ich etwas, was ich bisher nur an anderen beobachtete: Ich redetet leise mit einer Abwesenden und kam mir mit jedem Satz lächerlicher vor. Doch die Stimme, die reden wollte, kümmerte das nicht: Warum kommst du jetzt, Antonia? Niemand kommt im Spätherbst hierher. Der Nebel wird dich genauso verschlucken wie er die Hügel verschluckt. Nur die Kälte wird in dich hineinkriechen. Ich höre dich jammern, doch dann wirst du fluchen und schleunigst in freunlichere Gebiete aufbrechen. Du hättest im Frühling kommen sollen, oder im Sommer, wenn das Schilf blüht und du den Schwalben zusehen könntest, wie sie zu ihren Nestern fliegen. Doch jetzt? Jetzt kannst du den Nebel mit Händen greifen und deine Augen an diffuse Formen gewöhnen, sonst nichts. Statt der Erinnerung an dich wirst du da sein und die Erinnerungen auffressen.
Während ich auf eine Abwesende einredete, veränderte sich das Zimmer, wirkte es nicht länger gemütlich, sondern abgewohnt, blieb von den herumliegenden Büchern nur Unordnung, wirkte der Sprung in der Kaffeetasse billig. (S. 7f)
© 2005, Otto Müller Verlag, Salzburg - Wien.
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