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Leseprobe: Martin Kolozs - Immer November.

Wie besessen blätterte ich in Rain and Shine – vor und zurück und vor. Ich spürte, darin mehr zu finden als Verwirrung, vielleicht einen Hinweis oder eine Erklärung oder etwa eine neue Perspektive …

Man konnte ihm nicht vertrauen, weshalb er es auch bei anderen nicht konnte. Soviel wenigstens hatte ihm das Leben beigebracht: Bei den wichtigen Fragen war die Lüge niemals so schlimm wie die Wahrheit; das Flunkern immer noch den entscheidenden Tick charmanter als die ernste Offenheit. Und selbst wenn allmählich jedes Vertrauen verloren gegangen war, so waren ihm dennoch etliche Menschen erhalten geblieben, die wahrscheinlich das Weite vor ihm gesucht hätten, hätten sie in allen Einzelheiten gewusst, welche zahllosen Geheimnisse er vor ihnen verbarg, welche Lügen er ihnen auftischte.
Manchmal kam es sogar soweit, dass er selbst nicht mehr wusste, was er eigentlich alles erfunden hatte und was nicht. Dann musste er haarscharf vorsehen, nicht zur falschen Person das Richtige zu sagen, weil es ihn wie einen Lügner hätte aussehen lassen – welche Ironie!

Ich war kurz davor, das Buch an die Wand zu pfeffern. Was dachte sich dieser Norman T–, so über mich schreiben zu dürfen?! Glaubte er, mich besser zu kennen als ich mich selbst? – Ich war zugleich wütend und verzweifelt, denn trotz aller Einwände konnte ich nicht leugnen, dass dort etwas Wahres stand:

Der Schmerz der Erinnerung quälte ihn wie eine Kriegsverletzung; wie bei einem amputierten Bein oder Arm kam es in Phantomen wieder, obwohl jede Verbindung zerschnitten, jede Beziehung durchtrennt war. Und betrachtete er auch seinen verstümmelten Leib, das Fehlen der natürlichen Anteile, so begriff es sein Geist dennoch nicht. Er war er!
Er spürte den galoppierenden Herzschlag, die Hitze auf seiner Kopfhaut, den Schweiß aus allen seinen Poren brechen. Und ein Schrei entwand sich seiner Seele, stumm und lautlos, wie Laokoons Wehklagen.
Dann machte er einen Schritt vom Badezimmerspiegel fort und sah sein Bild ebenfalls entrücken; zurück auf dem Weg, auf dem es hergekommen war, verstrich es durch die Zeit.

Ich spürte die Tränen, bevor ich begriff, dass ich weinte, und legte das Buch erschrocken beiseite – ich schämte mich dafür, was ich entdeckt hatte; was von den Worten angelockt aus seinem Versteck gekrochen war wie ein Tier, das in seiner Höhle ausgeharrt hatte, bis es den Verlockungen der Freiheit nicht mehr widerstehen konnte.

(S. 120–122)

 

© 2012 Mitter Verlag, Wels

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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