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Leseprobe: Christine Haidegger - "Fremde Mutter."



Ich stand während des Essens an der Tür und paßte auf, daß nichts zu Boden fiel, wechselte im richtigen Augenblick die Teller und hielt Anna die Türe auf, wenn sie mit dem Ellenbogen klopfte, um eine neue Speise zu bringen. Ich achtete darauf, dass die Kerzen in den Wärmeplatten nicht durch einen Luftzug ausgingen, füllte Milch aus dem Krug der Kinder in ihre Gläser nach, wenn sie darum baten, und beobachtete jede Bewegung von Tante Anna, um zu lernen, wie alles gemacht wurde, wie man den Schöpfer geräuschlos wieder zurückgleiten ließ und vieles mehr. Nach dem Essen gingen die Zwillinge mit dem Vater nach oben, um ihre Hausaufgaben zu zeigen, während ich abräumte. Wir aßen in der Küche, meist die Suppe, Brot und einen Teil der Nachspeisen, die sie uns aufgehoben hatten. Sonntags bekamen wir sogar vom Braten, vor allem Huhn, denn die Dörfler brachten vieles ins Pfarrhaus, um sich für die Krankenbesuche, eine Taufe oder eine Hochzeit "erkenntlich zu zeigen". Tante Anna steckte mir auch oft einen Apfel zu oder gab mir Honig aufs Brot, sie mochte mich gerne, weil ich "anstellig" war. (...) Zwei schlimme Tage verlebten wir, als Frau Pfarrer plötzlich den kleinen Thomas nicht mehr nähren konnte. Im Dorf war keine Amme aufzutreiben, und Anna fürchtete schon, der Kleine müsse sterben. (...) Nach zwei Tagen nahm Thomas sein Essen willig zu sich, er greinte nicht mehr, und alle atmeten auf. Der Pfarrer und der Arzt lobten Anna sehr, und ich mußte sogar ins Schlafzimmer kommen, weil sich auch Frau Pfarrer bei mir bedanken wollte, was mich sehr stolz machte. Aber froh war ich doch, daß Anna nun wieder mehr Zeit hatte, sich um den Haushalt zu kümmern, und ich vielleicht auch wieder in die Schule gehen konnte. Es schien mir wunderbar, nicht mehr treppauf, treppab zu laufen und immer das Gefühl zu haben, zu wenig oder das Falsche zu tun, sondern ruhig unter den Mitschülern zu sitzen, Herrn Brenners Stimme zu hören und das Gemurmel der Lautlesenden hinter mir. Nur dasitzen, nur das zu tun, was Herr Brenner gerade von uns verlangte, erschien mir himmlisch.
(S. 44f)

© 2006, Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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