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Leseprobe: Ernst Molden - "Biedermeier"



"Zum Markt noch", sagt die Cillin.
Auf dem Markt ist so viel Dreck, daß es spritzt, und die Cillin und ich weichen aus, weil die Cillin sagt immer: 'Die Leut schaun alle aufs G'wand und die Sauberkeit.' Deswegen haben wir gewaschene Kittel und Schürzen und gestärkte Hauben, und auch wenn alles zusammen nicht viel wert sein, wird, die Haar unter den Hauben sind doch glänzig gekämmt und die Händ immer sauber. Wenn die Kutschen spritzen, weichen wir aus, und wenn ein Kutscher extra schnell über den Markt kommt, dann kann die Cillin schon schreien, und wenn sie schreit, so schießt's wie Eisen aus ihren grauen Augen, und ich hab schon ein paar Kutscher Respekt kriegen sehen.
Jetzt steht die Cillin mit den Weibern am Bäckerstandl, und ich hab die Gertl wiedergetroffen, unten, wo die grauslichen Bauern ihre schwarzen Erdäpfel verkaufen. Die Gertl hat noch immer das halbe Stück Würstel aus der Werkstatt von ihrem Vater, aber hergeben mag sie nix.
"Wirst dir wohl selber Essen leisten können, wost jetzt am Theater spielst."
Bös schaut sie aus, und ich krieg sofort einen Zorn. Der Tischlervater wird ihr was Besoffenes erzählt haben, die Cillin sagt eh oft, der sauft wie ein Loch.
"Glaubst, ich hab weiß Gott ein Geld?" sag ich zornig. - Zwei Kreuzer fürs Probieren am Tag und zehn für den Auftritt am Abend, solang eine nichts Besonderes darstellt. Das Geld bring ich der Cillin, und manche Wochen gibt sie mir wieder was zurück, dann kauf ich getrocknete Äpfel, und wenn wir beide kauen, hat die Cillin ein-, zweimal gesagt: 'Bist mehr ein richtgs Schwesterl als Kind.'
Die Tischlergertl legt die Karten auf den Tisch:
"Am Theater machen s' die Huren, sagt der Vater", zischt sie. - Jetzt weiß ich's alles: Die Gertl hat von meinem Auftritt am Abend erzählt, und der Tischlergesell, der ein Säufer und ein Neidhammel ist, hat seinen Senf dazugeben. Die Cillin hat recht gehabt, und die fette Gertl fühlt sich grad Gott weiß wie groß, weil ihre Schwester daneben beim Erdäpfelkaufen steht.
"Bist eh schon a richtige Hur", sagt sie jetzt und glotzt mich an. - Ich nehm einen Besen vom Erdäpfelbauern und hau der Gertl, so stark es geht, zweimal gegen den Leib. Wie sie auf der Erde ist, noch bevor die Schwester irgendwas merkt, bin ich über ihr und hab ihre Haar in der Hand.
"So", sag ich, derweil ich immer fester zieh, "mir werden 's heut am Abend klatschen, und dein Alter sauft sich an, und nachher haut er dich durch."
"Dich wird der Teufel schon noch holen", kreischt sie.
"Nein", sag ich, und jetzt zerr ich mit aller Kraft an ihren dünnen braunen Haaren, "nein, dich wird er holen, damit er dich zum Nachtmahl fressen kann, wie ein fettes Schweindl am Spieß!" Jetzt erst ist die Schwester aufmerksam worden, weil die Gertl so heult, aber bevor sie da ist, bin ich weg.
"Findelmensch, nixnutzigs!" schreit die Schwester.
"Balletthur!" schreit die Gertl.
"Was ist denn?" fragt die Cillin, zu der sich die Tischlerweiber nicht hertrauen. Auf dem Markt haben sie kurz auf das Geschrei gehört, dann ist allen wieder alles eins.
"Am Theater machen s' eine Hur aus mir, sagt der Vater von der Gertl."
"Und ich hab dacht, ein Käferl", lacht die Cillin und zwickt mir in den Hintern. Die Schwestern kriegen eine schnelle Warnung aus den grauen Augen der Cillin und rennen weg.
"Sollst mit den andern Kindern nix übers Theater reden", sagt die Cillin. "Wie oft muß ich's sagen? Sind alle neidig. Manch einmal, was die Mutter sagt."
"Bist ja gar nicht die richtige Mutter." - Jetzt zwick ich einmal.
"Willst vielleicht eine richtige?" fragt die Cillin und deutet über den Markt, wo die alte Tischlerin, die gerade so dick wie ihre Töchter ist, der heulenden Gertl die flache Hans ins Gesicht schlagt.
"Was hast denn kauft?" frag ich und häng mich ein.
"Ich zeig's schon her", sagt die Cillin. Dann erst gehen wir heim. Der Arm der Cillin, in dem ich häng, ist ganz warm.
Auf dem Heimweg des nämlichen Tages hab ich gespürt, wie sehr ich sie liebhab, und auch von diesem Gefühl her ist der Tag so ein guter gewesen. So lieb hab ich die Cillin deswegen, weil ich sonst keinen Menschen kenne, der gut ist und dem man alles glauben kann.
Zu Haus zieht die Cillin aus dem Korb einen halben Ochsenschwanz, ein Brot und ein Trumm Butter, die sie gekauft hat, und ein mysteriöses Zuckerküchl, das unter die Schürze gesprungen ist. Aus meiner Schürze kommen sieben, acht, neun Erdäpfel, und die Cillin muß kichern, derweil sie mir droht.
"Sonntag wird eine gute Suppen bei der Cillin sein", sagt sie dabei. Dann gehen wir Wäsch waschen an die Donau, und das Zuckerküchl nehmen wir mit. (S. 51ff.)

(c) 1998, Deuticke, Wien, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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