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Josef Winkler: Roppongi. Requiem für einen Vater.

(S. 100f)

Und wenige Tage nach dem Begräbnis, als in Kärnten Schnee fiel und die Blumenbuketts und Blumenkränze von einem Schneesturm zugedeckt wurden, die Blätter der Rosen und Nelken zusammenkleben, die Blumenkelche vom Gewicht der Flocken nach unten gedrückt wurden und man im Firn des frischen Neuschnees die Fußabdrücke der Witwe und ihrer Tochter vor dem Grabhügel sehen konnte, die gemeinsam jeden Tag über den lotrechten Balken des kreuzförmig gebauten Dorfes in den Friedhof hinuntergingen, eine Kerze anzündeten und beteten für den frisch Verstorbenen, während wir, Tausende Kilometer von Kärnten entfernt, auf einem anderen Kontinent, um fünf Uhr morgens Roppongi verlassen hatten, mit der Ubahn in ein anderes Stadtviertel gefahren waren und in einer riesigen Fischhalle Hunderte großer Thunfische sahen, die mit elektrischen Sägen zerschnitten und filetiert wurden, und abends, als es schon finster war, in Tokio in einer Bar des Park Hyatt Tokyo, in der Nishi-Shinjuku saßen, in der auch Szenen des Films "Lost in Translation" von Sofia Coppola mit Scarlett Johansson und Bill Murray gedreht worden waren, den wir ein paar Monate vor unserer Abreise nach Japan im Klagenfurter Wulfeniakino angeschaut hatten, auch die zweijährige Siri und der neunjährige Kasimir waren dabei. An meinem italienischen Pellegrino-Mineralwasser trinkend, das mir die Lady Ishikawa mit Knicks und hübschem Lächeln serviert hatte, abwechselnd auf den Bildschirm eines über der Bar hängenden Fernsehapparates, in dem ständig der Film "Lost in Translation" lief, auf die unzähligen großen roten Lichter und auf die blauen Glühwürmchenstraßen des nächtlichen Tokio schauend, fiel mir ein, dass damals, als ich nach dem Erscheinen meines ersten Buches nach längerer schamvoller Abwesenheit wieder in meinem Elternhaus aufgetaucht war, der Vater zahnlos - seine Zahnprothese war in Reparatur -, schmallippig, mit eingefallenem Mund, eine kotbehangende Gabel haltend, auf dem Misthaufen stand, die Misthügel zerstreute, die abgeschlagenen Hühnerköpfe mit den geschlossenen Augenlidern und leicht geöffneten Schnäbeln und die gelben, zusammengekrallten Hühnerbeine im Mist begrub und sagte, nachdem ihn ein Film über seinen Sohn im Fernsehen überrascht und er in diesem Bericht das erste Mal von meinen gegen ihn gerichteten Haß- und Verzweiflungsgefühlen erfahren hatte: "Du kannst über mich schreiben, was du willst, wenn es nur dir hilft, aber laß die beiden erhängten Buben im Dorf in Ruh! Laß die Toten in Frieden!"

© 2007 Suhrkamp Verlag, Frankfurt / Main.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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