Leseprobe (S. 748):
Ich denke an früher. An den, der ich war. Der mir einige Probleme eingehandelt hat.
Mit dem, der man vor zehn oder zwanzig Jahren war, hat man ja nicht mehr viel gemein. Er ist ein Fremder. Blöd nur, dass man alles ausbaden muss, was dieser ungeschliffene, kurzsichtige Mensch getan oder gelassen hat.
Kurz will ich mit mir zu hadern beginnen, aber ich entscheide mich dagegen. Ich habe gelernt, den, der ich war, in Ruhe zu lassen. Es hilft nichts, wenn man dem, der man war, dafür böse ist, dass der nicht immer demjenigen gegenüber verantwortungsvoll gehandelt hat, der er wurde. Man muss ein abgelegtes oder überwundenes Ich mit Verständnis und Sympathie betrachten. Der konnte es eben nicht besser. Er hat sicher Gutes gewollt. Und er hat ja keine Katastrophen angerichtet. Oder?
Man gibt sich selbst zur Pacht. Man kriegt sich zur Miete. Man leiht sich von einem späteren Ich aus. Ich grüße den, der ich in zehn Jahren sein werde. Ich werde mich bemühen, auf ihn aufzupassen. Soweit das eben möglich ist.
Das Kind kichert.
Mir fallen die Augen zu.
Das Kind lacht.
Der Nachbar schreit, er will die Sonne ficken.
Das finde ich irgendwie gut.
© 2016 Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag