Ich lebe allein, aber ich bin nicht einsam. Dieser abgedroschene Spruch trifft auf mich zu und auf ungefähr siebenundneunzig Prozent der Menschen, also Frauen, mit denen ich zu tun habe. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es eine unsichtbare Demarkationslinie gibt, von der niemand spricht: die Grenze zwischen der Welt der Paare und der Welt der Singles. Diese Trennung existiert so eindeutig wie jene zwischen Rauchern und Nichtrauchern oder zwischen Vegetariern und Steakessern. Bloß tun wir alle so, als ob wir nichts davon wüssten. Wer in der Welt der Paare gelebt hat und durch eine unglückselige Verkettung von Umständen hinaus ins Sigledasein geschleudert wird, der wiegt sich noch einen kurzen Zeitraum lang in der Illusion, dazuzugehören: zu den Einladungen und zu den gemeinsam geplanten und verbrachten Urlauben, zu verschwörerisch geführten Gesprächen über schnarchende Ehemänner, die einem nachts den Schlaf rauben, und über die Pläne für den Lebensabend auf Mallorca. Aber irgendwann ist es soweit, an einem einsamen Sonntagnachmittag oder mitten in der Nacht oder knapp vor Weihnachten, und die Sachlage erscheint plötzlich so klar und kalt wie die Anzeige der Digitalwaage: Single. Single, allein, aber nicht einsam. Single mit vielen Freunden, was braucht man mehr. Single, und keiner raubt dir den Schlaf in der Nacht.
(S. 99/100)
Im großen verspiegelten Trainingssaal ist es heute Abend fast gemütlich. Nun ja, nicht ganz so gemütlich vielleicht wie an einem Küchentisch aus blank gescheuertem Birkenholz, um den sich eine glückliche Familie zum gemeinsamen Abendessen versammelt. Aber gewiss gemütlicher als vor dem Fernseher mit einem gelangweilten, ungepflegten Ehemann an der Seite, der in der Nase bohrt. Faul hänge ich über dem bequemstmöglichen aller Geräte, einer Mixtur aus Schaukel und Känguruhbeutel, auf der man nur vornüber zu kippen braucht, um seine Bandscheiben zu entlasten. In dieser, zugegebenermaßen wenig vorteilhaften Stellung verharre ich nun schon seit mindestens einer Viertelstunde und starre ohne jede Zurückhaltung meinen schicken Mitbrüdern und Mitschwestern vom Orden des Heiligen Malibu nach. ... Angeblich soll so ein Fitnessstudio ja der Ort zur Kontaktaufnahme zwischen den Geschlechtern sein, also das, was früher der Dorfanger war. Bloß, in diesem Laden redet kein einziger Schweinehirt mit dir, alle laufen aneinander vorbei wie ferngesteuerte Zombies.
(S. 109/110)
© 2006, Picus Verlag, Wien