Maliks Schenke war die Parodie einer Araberspelunke; eine freundliche, ja, zustimmende Parodie, die noch in ihren grotesken Ausformungen die Verbundenheit des Chefs und seines Publikums einschließlich der entwurzelten Randeuropäer und Südamerikaner mit den arabischen Wurzeln zum Ausdruck brachte. Der Ruf nach den Wurzeln, sogar ein jüdischer Musikunternehmer ließ ihn zuweilen an meiner Seite hören – dieser Ruf nach dem Heimatboden steigerte sich während des Monats Ramadhan, wenn die Schenke bis zum Morgengrauen geöffnet blieb, und erreichte seinen Höhepunkt, wenn eines der dunkeläugigen Mädchen auf die Theke stieg, um dort zwischen Biergläsern und Zigarettenschachteln mit fast bis zu den Brüsten aufgerollten Blusen oder T-Shirts wiegende, wogende Tänze zu zeigen. In solchen Augenblicken war ich, ein wenig abseits stehend, doch mit den anderen den Rhythmus der Musik klatschend, von der verzweifelten Schönheit des Geschehens berührt, ja, bis in die Seele getroffen. Und es ging mir nicht anders als dem jungen Algerier, der mir einmal, nachdem wir lange über belanglose Dinge geplaudert hatten, in seinem glasklaren singenden Französisch gestand, daß er Abend für Abend unter den größten Gewissensqualen an diesen Ort komme; Gewissensqualen, die, kaum trete er über die Schwelle und werde der vertrauten Gestalt Maliks ansichtig, mit einem Schlag von ihm abfielen, um ihn am nächsten Morgen mit noch größerer Schärfe zu ereilen. Über dem Treiben in Maliks Schenke lag der Dunst des Verbotenen, nicht nur wegen des Alkohols, der reichlich genossen wurde, oder wegen der Frauen, die nicht selten mit einem der Besucher weggingen. Es wollte und will mir nicht gelingen, dieses Verbotene zu benennen, und auch mein arabisches Gegenüber, genauer: mein Nebenmir, konnte die Frage nach dem Was und Warum nicht beantworten. Wie es aussah, verband uns alle hier ein geduldiger Sinn für die Schönheit und Verzweiflung – oder Schönheit der Verzweiflung? –, die in Maliks Schenke während des Ramadhan, und auch in dieser Zeit nur selten, nur ausnahmsweise, zusammenflossen.
(S. 99f)
© 2012 Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien.