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Leseprobe: Lilian Faschinger - "Stadt der Verlierer."

(S. 21-23)

Ich suchte mir einen Baum, legte mich darunter, schaute eine Weile durch die Blätter in den Himmel und muß dann eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war es ziemlich heiß. Ein paar Meter entfernt, am Waldrand, wühlte ein Wildschwein im Erdreich. Ein großer Eber. Seine Stoßzähne sahen gefährlich aus. Schweine. Ich nahm meine Sachen, verließ die gekennzeichneten Wege und ging in den Wald. Dort war es kühler, und es roch gut nach Erde, nach Pilzen. Der Waldboden war weich und mit hohem Farnkraut bedeckt. Je weiter ich zwischen den Bäumen und Sträuchern vordrang, desto dunkler wurde es. Ich stolperte über etwas und fiel beinahe hin. Es war ein Schuh, der auf einem Moospolster lag, ein neuer, hübscher, linker Frauenschuh. Er war lang und spitz und weinrot, der Absatz hoch und dünn und elegant geschwungen. Das schmale Riemchen für die Ferse hatte einen kleinen goldenen Verschluß. Vom rechten Schuh und der Frau keine Spur. Ich hob ihn auf und drehte und wendete ihn. Leonardo da Vinci stand auf der Innensohle. Die Schuhnummer war siebenunddreißig. Mit dem Schuh in der Hand ging ich langsam weiter. Das Sonnenlicht fiel in breiten Streifen durch die Kronen der hohen Eichen und Buchen auf den Waldboden. In einem Lichtkreis stand ein zweites Wildschwein, ein kleineres ohne Hauer, und schnüffelte an einer Frau, die zwischen großen Farnblättern lag. Als es mich sah, drehte es sich um und trottete davon. Die Frau war schön, mit einer Haut, weiß wie Schnee, mit Wangen, rot wie Blut und Haaren, fein und hell und lang wie Seidenfäden. An ihrem rechten Fuß steckte der zweite Schuh. Hätte sie auch noch Haare, schwarz wie Ebenholz, gehabt, dann hätte sie nicht nur ausgesehen wie Schneewittchen, sondern auch wie die Schauspielerin aus dem Film In the Mood for Love, in den Trixi mich vor kurzem geschleppt hatte, ein langweiliger Film über Leute in Hongkong, die sich in engen Gängen aneinander vorbeidrückten und ununterbrochen Treppen auf- und abstiegen. Trixi mochte solche Filme. Das einzige, was mir daran gefallen hatte, waren die Kleider der Hauptdarstellerin gewesen. Sie wechselte sie ständig, doch alle hatten den selben Schnitt. Nur andere Muster und Farben. Und diese Frau hier trug genauso ein Kleid, ein enges, wadenlanges Seidenkleid mit Stehkragen, und genau wie die Hauptdarstellerin hatte sie die Figur dafür. Das Kleid war weiß, mit einem Muster aus dunkelroten und orangefarbenen exotischen Blumen, und glänzte im Sonnenlicht. Auch die rotblonden Haare glänzten. Sie lag auf der Seite, hatte eine Hand unter die Wange gelegt und schlief. Ich trat näher. Ein Gestank ging von ihr aus, der nicht zu dem schönen Körper und der anmutigen Haltung paßte. Die Frau lag in ihrer eigenen Scheiße, in ihrem eigenen Urin, und ihr Gesicht wirkte aus der Nähe nicht mehr schneeweiß, sondern bläulich. Getrocknetes Erbrochenes klebte an ihrem Kinn. Jetzt erst sah ich die drei Medikamentenschachtel und die zwei leeren Whiskyflaschen, die, zum Teil von Farnblättern verdeckt, neben ihr lagen, auch eine Tasche, die teuer aussah. Ich nahm die Hand, die auf ihrer Hüfte lag, und versuchte den Puls zu fühlen. Das Gelenk war kalt, und ich ließ die Hand fallen. Die Frau war tot. Eine Selbstmörderin. Ich machte kehrt und lief zurück, durch den Wald und über die Wiese und den ganzen Wald bis zum Besucherzentrum am Lainzer Tor. Eine junge Hostess mit aufgesteckten dunkelblauen Fingernägeln verkaufte einem deutschen Besucher mit Birkenstocksandalen, rosa Socken und einer hellgrünen Baseballkappe gerade eine Ansichtskarte von der Hermesvilla.

© 2007 Hanser, München.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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