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Miriam H. Auer: Hinter der Zeit.


Leseprobe aus dem Kapitel „Phantomvogel 2.0“

[…] Im festen Glauben, nun ähnlich stigmatisiert zu sein, wie die Mutter seines Pflegevaters, die er sehr gemocht und als Omi betrachtet hatte, damals stigmatisiert worden war, als seine erbschleichenden Erziehenden zu ihrem Krankenbett geschlichen waren, nur um zu sehen, wie miserabel es ihr doch schon ging, ach Gott, herrjemine, und seine Pflegemutter ihr ein Kreuzzeichen auf die Stirn gemacht und behauptet hatte, sie segnete sie nun, obwohl sie die Seniorin eigentlich für den Sensenmann markiert hatte, vermisste er seine Omi-Nös. Denn nach ihrem Dahinscheiden war er noch schlechter von Pater und Mater behandelt worden. Den Partezettel von Frau Nös besaß er immer noch. Schlechte Vorzeichen warf man einfach nicht weg. Diese Art Vorzeichenfehler rechnete sich nicht. Das glaubte Anto. Diese Schrulle sei ihm gegönnt. Er hat ja sonst nicht viel vom Leben.
Anto stierte auf die ebenso kosten- wie niveaulose Tageszeitung. Ein wenig neutraler Bericht über eine Regenbogenamokläuferin war klein unter den Sensationsartikel mit absichtlich nur laienhaft zensiertem Exklusivrosettenbildmaterial von London Mercurys Anal-Bleaching gesetzt worden. Anto fand diese Art der medialen Aufbereitung im Grunde genommen zum Lachen und zum Weinen, lachte oder weinte aber nicht. Er wusste nicht, was er tun sollte. Auf der Fensterbank saß eine Taube, die er aber nicht sah. Er wollte sich sein Leid von der Seele schreiben, ehe es ihn ganz aufgefressen haben würde. Er überlegte kurz voller Mitgefühl, dass das Leid aber vielleicht gar großen Hunger haben könnte, beschloss jedoch, es leiden zu lassen. »Heute nicht, let it sufferrrr-rrr!«, gurrte er und suchte dann jedoch, anstatt zu schreiben, eine etwa ein Jahr alte Ausgabe einer Literaturzeitschrift heraus, die man zu Promotion-Zwecken gratis an jeden Haushalt verteilt hatte. Um seiner Unbehaustheit in der babydurchfallgrünen Behausung Herr zu werden, las Anto seine Lieblingsgeschichte über einen Menschen, der mit Kara Mesar verwandt war, sich aber grundlegend von ihr unterschied. Und dieser Mensch Mesar war einst aus Verlärntenreich fortgezogen, um endlich »mit beiden Beinen im Leben zu stehen«, so erzählte man es sich.
Anto las also, was die Künstlerin Rübe Felsbrau vor etwa einem Jahr in der Literaturzeitschrift realisiert hatte, wie so oft durch die Verbindung ihrer Worte mit dem, was man sich von Mesar erzählte, und ein paar telefonischen Bestätigungsworten vom Menschen im Exil:

Von der Story um den biblischen Kain kann man ganz einfach eine Kurzversion schreiben: »Es war ein Mal.« Und aus.

Beim Menschen Mesar braucht es der Worte mehr. Das ist die wirklich wahre Geschichte vom Menschen, der beruflich Bäume erntete. Man mache sich ein Bild von diesem Leben:

I: Menschwerdung und Geschichte

»Nolens volens« hatte Marek Mesar ins Glas gravieren lassen. Der Schliff verzog die Linien im Mensch-Profil. Das mundgeblasene Trinkglas verschlang ihn. Er verlor sich für einen Augenblick im Spiegelglasbild. Den mundgeblasenen Mosaik-Menschen Mesar blendeten die fragmentarischen Farbspiele seiner gespiegelten Identitäten. Invers kratze er mit der Spitze der Nagelschere, in Bezug auf die Buchstabenanzahl exakt semi-anagrammatisch, »no love« an den Rand des Glases, da, wo es seine Lippen berühren würden. In Vers ritzte er das Kurz-Couplet »from above« darunter. Mit schmerzinduzierender rauer Ritzung markierte er den Blutrand und füllte das Glas mit Erinnerungen an den Glasbläserworkshop. Als das lieblose Glas halbvoll, von oben halbleer, mit abgefeilter Glasfaser war, blieb sein Kopf fast blutleer. Er gedachte jeglicher Demütigung mit zunehmender Indifferenz. Der Mensch war dem Menschen kein Wolf, er war dem Menschen Mensch, was könnte es Unmenschlicheres geben? Das fragte er sich, fragte er sich schon lange nicht mehr. Auf die Frage aus dem Radio »was trägt sie heute?« antwortete er ruhig »die Weste soll orange sein …«.

( S. 128f)

© 2014 Editon Meerauge, Klagenfurt

 

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