Meine besten Geschichten
Salzburg, Wien: Residenz, 1999.
205 S., geb.; öS 278.-.
ISBN 3-7017-1153-4.
Link zur Leseprobe
Über Gerhard Hauptmann gibt es den Witz, wonach das Beste und Bleibendste sein Sekretär gewesen sei. Er hieß Erhart Kästner.
Nach der Hommage, mit der Egyd Gstättner im letzten Jahr seinen Doktorvater Alois Brandstetter zum 60. Geburtstag gewürdigt hat ("Vom Manne aus Pichl"), läßt sich der Witz durchaus auf das Paar Brandstetter-Gstättner transponieren, wobei sich Brandstetter ausdauernd gegen das Vergessen wehrt, wie seine soeben erschienene Sammlung "Meine besten Geschichten" beweist.
"Best-of-Geschichten" sprechen in der Hauptsache zwei Lesergruppen an: Zum einen die frischen und unbefleckten Leser, die sich mit einem vom Meister höchst persönlich zusammengestellten Band rasch ein Bild von dessen Qualität machen wollen; zum anderen halten jeweils die mitlesenden Zeitgenossen inne, wenn sie ihre jahrelangen Lektüreerfahrungen anhand eines Sammelbandes aktualisieren können.
"Meine besten Geschichten" klingt durchaus wie "Meine besten Gipfelsiege" (Reinhold Messner) oder "Meine besten Witze" (Ephraim Kishon). Hinter dem g'schmackigen Titel stecken aber doch literarische Geschichten und ein Stück Literaturgeschichte.
"Der 1. Neger meines Lebens" ist sicher die unsterblichste Geschichte Alois Brandstetters, weil zwar fast jeder in Österreich insgeheim so nonchalant denkt wie das erzählende Ich, aber nach außen hin diese Urgedanken immer einer political correctness unterwirft. Mit naivem Blick schaut der Erzähler einen Neger von oben bis unten an und wundert sich, daß er schwarz ist. Gleichzeitig suggeriert diese Naivität, daß man die Zeitgeschichte - der Schwarze ist ein Soldat der amerikanischen Befreiungsarmee aus dem Jahre 1945 - ebenfalls mit einem kindlichen Auf- und Abschauen abtun könnte.
Alois Brandstetters Qualität liegt in dieser Bandbreite des Witzes, wo zwischen Gelächter und betroffenem Zusammenzucken alles an Reaktion möglich ist. Und man kann von der Klugheit Brandstetters ausgehen, daß er diese Reaktionen hellwach in seiner Literatur einkalkuliert.
Beinahe jeden Festredner und pragmatisierten Optimisten juckt es, während seiner Ansprache ein kleines Stück Brandstetter zu zitieren. Die Geschichten sind für jeden Anlaß kompatibel und so zwingend optimistisch, daß das ganze Land schön wird, wenn man nur genug "beste Geschichten" vorliest.
Helmuth Schönauer
24. Februar 1999