"Vielleicht", sagte Paul Beer, als er mit der Papiertragtasche in den Vorraum einer Altbauwohnung in Wien-Neubau trat und, an seinem Kragen nestelnd, ein in Packpapier gewickeltes Buch aus der Tasche nahm, "vielleicht kann man auch einer Antiquarin ein Geschenk machen."
Ursula Steiner und Paul Beer standen einander etwas verlegen gegenüber. Gekleidet, wie man es von einander gewohnt war. Doch hatte ihr langes schwarzes Haar mit seinen grauen Strähnen ein paar Bürstenstriche mehr erfahren. Sein Gesicht war um eine Spur glatter, es duftete schon im Vorraum, das weiße Hemd steckte etwas sorgfältiger in der beigen Hose. Gleichzeitig streckten sie ihre Rechten aus und reichten einander erstmals die Hand. Lächelnd übergab Beer der Antiquarin sein Päckchen, gleichzeitig wollte er die Schuhe abstreifen, was untersagt wurde, und Steiner bat ihn weiterzukommen.
Das Wohnzimmer ähnelte seinen Vorstellungen. Tagelang hatte er sich auszumalen versucht, wie die Antiquarin lebte. Sich vorzustellen, wie andere lebten, was hinter diesen Mauern, hinter jenen Türen geschehen mochte, war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Ein hoher Raum, sienarot gestrichen; die gesamte linke Wand, mit Ausnahme einer Tür, die offen stand und in die Küche führte, war von Regalen eingenommen, wo Bilder vor manchen Büchern ihre Verfasserinnen und Verfasser verrieten; eine schön gearbeitete Holzstiege auf Rädern ließ sie zu den oberen Reihen gelangen; an der gegenüberliegenden Wand, die mit Bildern behangen war, lehnte ein gedeckter Holztisch; drei große Fenster an der hinteren Wand gingen auf die Straße, vor denen, gruppiert um einen runden Glastisch, eingesessen eine dunkelbraune Ledergarnitur wartete; in einer Ecke erspähte Beer eine Stereoanlage; in einer anderen einen geflochtenen Korb, in dem Zeitschriften aufbewahrt wurden.
Paul Beer ging schnurstracks an die Fenster, blickte hinaus, lobte die Stukkaturen am Haus gegenüber, die Helle des Zimmers, die ruhige Lage, drehte sich um und blieb vor einem Bild stehen, das die Antiquarin vor Jahren einer unbekannten Malerin abgekauft hatte. Am Nachhauseweg war sie zufällig in eine Vernissage geraten, von dem Bild angezogen worden, und hatte es haben müssen. Zwei schrecklich lachende, naiv gezeichnete Mädchen mit bunten Schleifen im Haar sprangen blaß auf einer weißen Puppe herum, deren Hände ebenso ausgerissen waren wie ihre Beine. Im Hintergrund strich, einen angebissenen Arm im Maul, dunkelblau glitzernd ein Fuchs um einen Hühnerstall.
"Was sieht der Kunstkritiker?"
"Den Eimer, den man in der Kindheit übergestülpt bekommt, und dessen Inhalt einem ein Leben lang herunterrinnt."
"Sie sprechen aus eigener Erfahrung?"
"Nein, ich war ein glücklicher Paul."
"Ich glaube Ihnen kein Wort."
"Sollten Sie aber."
© 2005, Skarabaeus, Innsbruck - Bozen - Wien.