Leseproben
Wien 1964
Hanna, Elena
"Warum weinst du"", wollte das Kind wissen, stand mit fragenden Augen vor ihr.
"Das verstehst du nicht", sagte Hanna.
Doch Elena wollte verstehen. "Warum bist du traurig?", fragte das Kind.
"Weil der Papa den Schlüssel mitgenommen hat."
"Welchen Schlüssel?"
"Den Schlüssel vom Kasten."
"Warum?", fragte Elena.
"Das verstehst du nicht!"
"Ich verstehe es", sagte Elena vorwurfsvoll.
"Wenn du groß bist, werde ich es dir erzählen."
"Ich bin groß", sagte die Vierjährige, und Tränen rannen über ihr kleines Gesicht.
"Später!", sagte die Mutter. "Keine Widerrede mehr!"
Elena musste sich zufriedengeben und dachte, dass sie nichts vergessen würde. Wenn ich groß bin, werde ich die Mama fragen. Das werde ich ganz bestimmt nicht vergessen.
(S.139)
Wien 1964
Beppo
Er fühlte die Schlüssel in der Hosentasche.
Er hatte sie heute morgen von allen Kastentüren abgezogen. Alle vier Kastentüren versperrt und die Schlüssel mitgenommen. Noch nie hatte sie ihm fehlende Liebe vorgeworfen. Noch nie war sie so heftig gewesen, hatte so mit ihm gesprochen. Weinend hatte sie die Wohnung verlassen, um zu den Herrschaften zu gehen. Er hatte sich keinen Rat mehr gewusst, wie er sie zurückhalten könnte. Wenn sie von den Herrschaften kommen würde, wenn sie die Kinder vom Kindergarten geholt haben würde, würde sie alles einpacken, ihre Wäsche, die Kleider, die Kleider der Kinder, und einfach fahren. Einfach davonfahren, wie sie schon einmal davonfahren wollte, ihn verlassen wollte.
(S. 140)
© 2016 Verlag Wortreich, Wien