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Sama Maani: Der Heiligenscheinorgasmus und andere Erzählungen.


Leseproben:

Im Herbst desselben Jahres geschah etwas ungewöhnliches: Ich lernte die Beate Uhland kennen, eine blonde Krankenschwester mit einem rundlichen Körper und vorstehenden Zähnen. Für ihr Aussehen gilt dasselbe, was ich oben über Gertraud Janisch gesagt habe. Ich fand sie hübsch, und ihr Rundlichsein erregte mich maßlos. Ich stellte mir vor, daß unsere Beziehung, da ich dünn und die Uhland rund war, ausgeglichen, ja ideal sein müßte. Im Halbschlaf sah ich die Personifikation unserer Beziehung als androgynes, athletisch-muskulöses Wesen, mit einer hellen, leuchtenden Haut. Seine Haarfarbe oszillierte zwischen pechschwarz und blond. Ich verliebte mich in diese Beziehungs-Person und die Beate Uhland. Das an sich wäre nichts ungewöhnliches gewesen. Ich hatte mich ja im Laufe meines bisherigen, von meinem Dünnsein beherrschten Lebens nacheinander in das Schahnameh, die Antonia Benedini, die Ute Waldmann, die Sabine Stattmann, die Waltraud Janisch, die Katja Ramschitz, die Birgit Kramer und die Isabella Lechner verliebt – um nur einige wenige zu nennen, war aber nie auf Gegenliebe gestoßen. Sogar das Schahnameh hatte mich abgewiesen. Aber die Uhland liebte mich. Sie liebte mich mit einer Intensität, die mich zuerst glücklich und dann – ängstlich machte. Denn anders als das Schahnameh war die Uhland ein Wesen aus Fleisch und Blut. Sie hatte Bedürfnisse, sie stellte Ansprüche, sie wollte mit mir schlafen. Ich aber hatte, ganz im Gegensatz zu ihr, keine Erfahrung in der Liebe. Was nicht heißen soll, daß ich abgeneigt gewesen wäre, mit dieser hinreißenden Person alles das zu tun, was auch sie mit mir tun wollte. Immerhin war ich trotz meines Dünnseins ein junger Mann mit männlichen Triebenergien und einer Menge Sehnsucht nach Frauen, genauer: nach den Körpern der Frauen. Aber an jenem Abend, an dem ich mit der blonden Beate Uhland am Wiener Donaukanal entlangspazierte und sie mir mitteilte, daß sie niemals mit einem Mann ausgehen würde, ohne etwas von ihm zu wollen, mußte ich, zum ersten Mal seit langem, wieder an mein Dünnsein denken und an die Anatomie meines Körpers, insbesondere an die beiden spitzen Knochenvorsprünge meines rechten und meines linken vorderen oberen Darmbeins, die sich im Augenblick unserer Vereinigung in das Fleisch der Beate Uhland bohren würden, so daß sie schreien und vor Schmerz in Ohnmacht fallen würde.

Ich habe mein Dünnsein in der Zeit meines Zusammenseins mit der rundlichen Beate Uhland verloren. Aber die Angst, die spitzen knöchernen Vorsprünge meines in meiner Vorstellung noch immer sehr dünnen Körpers könnten sich das Fleisch der Frauen, die sich mir hingeben, bohren – und sie für immer verunstalten oder töten, werde ich niemals verlieren.

(S. 130-131)

Nach dem Tode dessen, der sterben wird, werde ich mich an eine Episode erinnern, die ich für vergessen gehalten haben werde. Einmal, im Regen, an einer Kreuzung, im Zentrum, wo die Autos rücksichtslos von der B.- in die K.-Straße einbiegen, war der, der sterben wird, das Fahrrad mit der rechten schiebend, und in der linken einen rot-weiß-roten Familienschirm haltend, über den Schutzweg gegangen. Ich stand, um mich vor dem Regen zu schützen, unter den Kolannaden des Postamts. Ein weißer Ford mit einem Provinzkennzeichen war rasant von der B.- in die K.-Straße eingebogen und hatte keinerlei Anstalten gemacht, vor dem Schutzweg, den der, der sterben wird, schon betreten hatte, anzuhalten. Der, der sterben wird, hatte so getan, als hätte er das Provinzauto nicht bemerkt. Dann, als das Auto gebremst hatte, abrupt und unwillig, hatte sich der, der sterben wird, umgedreht und auf das Provinzauto gestarrt. Dann hatte er eine Kopfbewegung nach oben gemacht und etwas Unverständliches gerufen. Der Fahrer, ein Weißhaariger, seine Frau neben sich im Beifahrersitz, hatte ebenfalls eine Kopfbewegung gemacht, eine wiegende Kopfberwegung nach links, als hätte er sagen wollen: „Verputz Dich!“

Der, der sterben wird, war weiter gegangen und hatte den Provinzler vorbei fahren lassen. Dann hatte er sich auf einmal nach rechts gedreht, die Faust in die Höhe gestreckt – und "Arschloch!" gebrüllt.

Der, der sterben wird, hatte das "Arschloch!" in der Art der Menschen des Landes gebrüllt, aus dem er kommt, und aus dem auch ich komme. Ein "Arschloch!" mit einem dunklen A, einem rollenden R und einer betonten und gedehnten zweiten Silbe, die trotz des Regens sekundenlang nachzuhallen schien. Den ganzen "Arschloch!" hatte der, der sterben wird, so weich ausgesprochen, und so warm, daß es wie eine Liebkosung geklungen hatte.

(S. 136-137)


© 2016 Drava Verlag, Klagenfurt

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