logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

September
Mo Di Mi Do Fr Sa So
29 30 31 1 2 3 4
5 6 7 8 9 10 11
12 13 14 15 16 17 18
19 20 21 22 23 24 25
26 27 28 29 30 1 2
kopfgrafik mitte

Leseprobe: Ulrike Längle - "Vermutungen über die Liebe in einem fremden Haus"



IV. Fanny wurde von der Sonne geweckt, die voll in ihr Bett schien. Sie blinzelte verschlafen in das helle Licht, dehnte sich unter der dünnen Wolldecke in dem geblümten Überzug, genoß die Aussicht durch die Maschen ihres Moskitonetzes und stand dann auf. Sie hatte keinen einzigen Mückenstich abbekommen. Draußen war es fast vollkommen still. Kein Windhauch wehte. Die Wetterfahne schwieg. Von ferne hörte sie eine Glocke leise siebenmal schlagen. Sie blickte auf den Kirchturm von Östervala, dann nahm sie ihr Bettzeug und hängte es aus dem Fenster. Wieder schlüpfte sie in ihren Morgenmantel und in die blauen Holzschuhe und setze sich kurz auf einen Stuhl mit dreieckiger Sitzfläche, die mit verschossenem, orangefarbenem Samt bezogen war, vor der Kommode, auf der sie ihre Toilettengegenstände aufgebaut hatte. Sie blickte auf Eriks Bild. Erik schaute sie an, melancholisch wie immer. Erik sah alles ganz genau, zum Beispiel, daß sie ihre Haare lange nicht mehr gewaschen hatte, so daß sie nun, kurz nach dem Aufstehen und vor der Morgentoilette, in fettigen Strähnen an ihrem Gesicht herunterhingen. Fanny blickt in den Spiegel. Obwohl sie geweint hatte, sah sie gar nicht verweint aus. Sie fand, daß sie eigentlich überraschend gut aussah, trotz der fettigen Haare, und überraschend jung. Vielleicht waren die frische Luft und das kalte Wasser schuld daran.
Sie riß sich von ihrem Spiegelbild los und drehte sich wieder zu Erik um.
"Da bin ich", sagte sie leise, "jetzt hilf du mir weiter."
Erik blickte wie immer, aber er schien sie verstanden zu haben. Sie erinnerte sich, daß sie an diesem Morgen versuchen wollte, das Gras zu mähen. Vorerst öffnete sie bloß das Fenster im Gang, nachdem sie die weißen Vorhänge zurückgeschoben hatte, und befestigte die Fensterflügel an den Haken. Draußen stand die Fahnenstange mit dem unbeweglichen blaugelben Wimpel. Etwas weiter weg lag das Härbre als ruhige, einfarbige, falunrote Masse im Grün der Birken, die dahinter wuchsen. Vor der Werkstatt fiel ihr Blick auf Eriks selbstgezimmertes, ausgebleichtes Holzgeländer. In der Ferne ragte eine Reihe von Birken vor dem dunklen Hintergrund eines Nadelwaldes wie weiße Striche in den Himmel. (S. 66f.)

© 1998, S. Fischer, Frankfurt / Main.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suche in den Webseiten  
Veranstaltungen
Sommerpause

Sehr geehrte Veranstaltungsbesucher des Literaturhauses Wien, wir wünschen Ihnen einen erholsamen...


Tipps
SHORT CUTS. Kurze Prosa

Erich Fried Tage 201123.-27. November 2011 Rund 35 AutorInnen aus 10 Ländern präsentieren fünf...


LITERATUR FEIERN in Österreich

Ein Festival-Überblick von Beatrice Simonsen mit Kalender 2011 WIEN In der Bundeshauptstadt...


Newsletter
Sommeröffnungszeiten Juli - September

Dokumentationsstelle für neuere österreichische LiteraturMontag bis Mittwoch 9 - 17 UhrTel. +431...