Gustav war, vom Wirt und Doktor Hugomeier flankiert, wankend beim Telefon angelangt. Er sah sich gerade mit seinem Sohn im Auto sitzen und in ausgelassener Stimmung übers Land fahren. Während Gustav ein unsicheres "Hallo" in den Telefonhörer lallte, stürzte im Spital eine aufgeregte Schwesternanwärterin zum Pfarrer und teilte ihm mit, dass das Mädchen von der Schmitt Gelbsucht hatte und schnellstens eine Taufe benötigte. Pfarrer Kupfer informierte Gustav hastig. "Nottaufe! Wie soll das Mädchen heissen?!" Gustav torkelte, suchte nach einem Halt, stürzte und riss dabei ein Gläserregal aus der Verankerung, was der Wirt, während des Klirrens, mit den Worten: "Na, Glück wird's Kind brauchen, bei dem besoffenen Vater", kommentierte. Der Pfarrer, der erwartungsvoll am Telefon lauschte, bekam einen gehörigen Schreck und fragte irritiert nach. "Herr Schmitt! Ein Mädchen, gelbsüchtig! Auf welchen Namen? Schnell!" Doktor Hugomeier stellte den jungen Vater wieder auf die Beine. In Gustavs Kopf drehte sich alles. Das Auto mit ihm und seinem Sohn fuhr nur noch auf zwei Rädern, lachend zeigte der Sohn seinem Vater die Zunge. "Das gelbsüchtige Mädchen! Wie soll es heissen?" "Mercedes!" brüllte Gustav in den "Natürlich Mercedes!" Dann schoss das Auto mit Gustavs Gedanken über die Landstraße hinaus, einem herrlich blauen See entgegen. Das Tempo verlangsamte sich, der Wagen brach auseinander, und der Sohn schlitterte in der rechten Mercedeshälfte aus dem Blickfeld. "Adieu, mein Sohn", waren Gustavs letzte Worte; dann kippte er um - in die Arme von Doktor Hugomeier - und fiel in einen langen, tiefen Schlaf, der nur einmal von einer zehnminütigen Brechorgie unterbrochen wurde. (S .19f.)
Ich schlug die Augen auf und wusste zürst nicht, wo ich war. Ich rief nach Mama und rappelte mich vom Boden auf. Ich kroch zur Tür, zog mich an der Schnalle hoch und drückte sie hinunter. Die Tür sprang auf. Licht blendete mich. Ich hörte nur meinen Atem. Mama?
Aus dem Badezimmer drang ein Geräusch zu mir, als würde jemand etwas aus einem Brunnenschacht rufen. Mama! Ich bemerkte, wie dünn meine Stimme klang und lief zum Badezimmer. Ich sah eine Gestalt, die sich über Mama beugte. Mama lag auf dem kalten Fliesenboden. Ich warf mich auf die Gestalt und klammerte mich an ihren Schultern fest. Die Gestalt machte eine schnelle Bewegung, ich konnte mich nicht halten und prallte mit dem Kopf gegen den Badewannenrand. Etwas Warmes rann aus meiner Nase über meine Lippen bis hin zum Kinn. Ich wischte mit dem Nachthemdärmel über meinen Mund.
Neben Mama lag die Freiheitsstatue. Das Licht der Fackel war erloschen, der Skarabäus darauf verschwunden.
Eine Hand hob die Freiheitsstatue vom Boden auf, ich verfolgte sie mit meinen Augen. Kurz blieb sie in der Luft stehen, dann sauste sie auf meinen Kopf zu, ich konnte mich gerade noch zur Seite rollen. Die Freiheitsstatue traf meine Schulter. Sie tat höllisch weh und ich öffnete meinen Mund, um den Schmerz wegzuschreien. Der Luftballonkopf senkte sich auf und ab, verharrte kurz zwischen Boden und Plafond und zischte mir entgegen:
"Wenn du auch nur ein Wort sagst, dann bringe ich dich um!"
Dann schwebte der Luftballon aus dem Badezimmer, als hätte ich ihn mit meinem Schrei hinausgepustet.
(S.84 f.)
© 2001, Deuticke, Wien, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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