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Die Möwe
Eine Frau kommt durch das Gras. Sie geht mitten in den folgenden Nebensatz, wo etwas Platz frei war. Aber die Frau beansprucht nicht den ganzen Platz für sich. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man links und rechts des Platzes in der Mitte des Nebensatzes zwei Flecken, die jetzt mit dem Weiß im Auge der Frau verschmelzen.
Bevor das schnell wachsende Weiß das Gesicht völlig zerstört, schnappt es sich eine heranfliegende Möwe und stürzt unweit des Ufers in den See.
Weiter draußen ziehen Segelboote von links einen bunten Vorhang in das Bild, nur der weiße Katamaran fährt in die andere Richtung. Jemand stellt einen Kinderwagen ans Ufer, sodass die Sicht auf den Katamaran verdeckt bleibt. Der Katamaran gerät in ernste Gefahr. Denn je länger die unerwünschte Ausblendung andauert, desto konkreter kann die Vorstellung vom plötzlichen Kentern des Katamarans werden.
Eine Tragödie bahnt sich an.
Doch der Katamaran kentert nicht, weil der Luftzug eines vorbeidonnernden Zuges das weiße Notizblatt des Mannes auf der Bank im schmalen Uferstreifen zwischen dem Bahngleis und dem See mit sich fortwirbelt.
Im selben Augenblick taucht das Weiße im Auge der Frau wieder aus dem Wasser auf und flattert davon.
Neben der Bank liegt eine alte Zeitung. Ein Braunbär stirbt auf der letzten Seite der Zeitung im Schnee. Aber
sooft der Wind diese Seite zurücklappt, kommt ein Pandabärbaby auf die Welt. Es lebt noch ein paar Minuten weiter, bis der nächste Zug vorbeifährt. Mit dem lauten Schrei der Möwe fliegen plötzlich alle Bären durch die Luft und werden von einer Gewitterwolke verschluckt.
Eine näher kommende Frau mit Taucherbrille und Kind wird sofort durchgestrichen, bevor sie ins inhaltliche Wirkungsfeld des ersten Satzes dieser Geschichte gerät. Deshalb bleiben alle Fragesätze des Kindes ohne Antwort.
(S. 9-11)
© Skarabaeus Verlag, Innsbruck-Bozen-Wien.
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