Leseprobe:
12.2.2016 In letzter Zeit halte ich mich immer ein paar Minuten länger auf öffentlichen Toiletten auf als nötig. Wegen dem schützenden Gefühl beeile ich mich nicht mit dem Rausgehen. Ist das dieses Burn-out, von dem alle immer sprechen?
12.2.2016 Wenn beim Duschen ein langes Haar den Rücken runtergespült wird, zwischen die Backen Richtung Damm bis fast zur Scheide, und man sich danach trocknet, es bemerkt und dann mit diesem leicht schneidenden Gefühl rauszieht, ist das so ein schaurig-schönes Gefühl, als würde man eine Larve aus einer Wunde holen.
14.2.2016 Die drei Stadien des Erfolgs:
1. Wenn die eigenen Idole einen kennen (uuh).
2. Wenn die eigenen Idole einen zwecks Zusammenarbeit kontaktieren (aahh).
3. Wenn einem die eigenen Idole auf die Nerven gehen (iihhh).
14.2.2016 Heute ist Valentinstag, da brate ich meinem Schatz ein paar Schnitzeln, und zur Nachspeise gibt’s MICH in meiner neuen Reizwäsch‘ vom Kik.
15.2.2016 Die Buben werden immer gleich geliebt, weil sich die Männer in ihnen wiederfinden. Die Frauen lieben die Buben auch automatisch, weil sie durch ihre Aufmerksamkeit mehr wert sind. Aber ich hasse die Buben, ich smashe die Buben, ich crashe die Buben, ich nehm den Buben ihr ganzes Geld weg, und dann zerfick ich ihre Väter mit mein‘ Riesenfut.
15.2.2016 Ich bin der beste Mensch auf der ganzen Welt.
Wer ist der beste Mensch auf der ganzen Welt?
Ich, ich bin es. Ich bin’s.
Auf wen musst du immer hören?
Auf mich. Steffi. Bester Mensch der Welt.
Wem opferst du dein Leben im Krieg, in der akuten Not?
Mir, Stefanie. Deiner Herrscherin.
Wer führt dich zur Wahrheit, wessen Worten musst du dich ergeben, und wem folgst du in der Dunkelheit und ins nasse Loch?
Deinem Steffilein.
15.2.2016 Das Reichwerden hilft mir über das Dickwerden hinweg.
15.2.2016 Ich küsse mein Geld stundenlang.
Ich flüstere dem prallen Bündel zu, wie sehr ich es liebe und dass es wunderschön ist.
Ich lecke meine Hunderteuroscheine zärtlich ab
und führe mir Münzrollen ein.
Zuerst hinten.
Dann vorne.
Dann gleichzeitig.
Autsch
15.2.2016 Die strähnigen Stirnfransen vernachlässigter Kinder
15.2.2016 Es gibt ja eine App, um seinen Nachbarn näherzukommen. Eine Nachbarschaftsapp für Masochisten. Dabei weiß doch jeder, dass Nachbarschaft der schlimmste und gefährlichste aller sozialen Zwänge ist. Nachbarn sind die ersten, die einen ans Messer liefern, wenn die politischen Systeme es erfordern. Millionen von Menschen wurden als Folge von Nachbarschaftskontakt exekutiert. Ich persönlich werfe vorm Verlassen der Wohnung immer lieber einen Blick durch den Türspion, um dem Nachbarschaftshorror zu entgehen. Ich hätte lieber eine App, mit der ich der Nachbarschaft gezielt und zuverlässig ausweichen kann.
15.2.2016 Seit ich selbständige Künstlerin bin, kann ich mir die Depressionen nicht mehr leisten.
(S. 129-131)
© Rowohlt Verlag, Reinbek, 2017