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Leseprobe: Melitta Breznik - "Figuren."

Ich erinnerte mich wieder an die Pose deiner Hand, in der du die Zigarette gehalten hast, um mit einer koketten knapp gehaltenen Bewegung den Rauch zwischen den Sätzen hektisch über die Schulter zu blasen. Während ich mir den Arbeitsmantel überzog und die notwenigen Unterlagen zusammensuchte, rechnete ich nach, wieviele Jahre seitdem vergangen waren, und fragte mich, ob du noch immer etwas mollig warst, die langen schwarzen Haare exakt in einer Linie schulterlang geschnitten, lobend, wenn sie beim Friseur ein paar Millimeter zu kurz geraten waren. Atemlos durchquerte ich die schwacherleuchteten langen Gänge, bis ich vor dem Eingang der Notaufnahme innehielt und mich bemühte, ruhiger zu werden, bevor ich die Tür öffnete. Ich sah mein gleichgültig wirkendes Gesicht in der Spiegelung der Glaswand hinter dem Schreibtisch des Chirurgen, und noch bevor ich nach dir fragen konnte, entdeckte ich die Frau, die mit Verbänden an beiden Handgelenken sich zusammengesunken auf einem Sessel in der ersten Untersuchungskoje kauerte, und war erleichtert, daß es nicht du warst. Sie war in einem erbärmlichen Zustand, ich ging auf sie zu und stellte mich als die diensthabende Psychiaterin vor, die man zugezogen hatte, um ihr ein paar Fragen zu stellen. Als ich mich zu ihr setzte, wich sie zunächst meinem Blick aus, und ich konnte nur einen Teil ihres Profils unter den in Strähnen herabhängenden braunen Haaren sehen, die verklebt waren von vertrocknetem Blut. Ich fragte sie, ob sie sich erinnern konnte, was geschehen war, worauf sie sich mir abrupt zuwandte, als wollte sie im nächsten Moment aufspringen und auf mich losgehen oder einfach an mir vorbei zum Ausgang laufen, aber sie erstarrte mitten in ihrer Bewegung, sah mich aus großen Augen an, und etwas in ihrem Blick alarmierte mich und ließ mich dich für einen Moment vergessen. Es war eine Mischung aus Entsetzen und Wut, und ich sagte ihr, daß sie sich Zeit lassen sollte, und stand auf und füllte einen Pappbecher mit Wasser, den ich auf den kleinen Tisch neben sie stellte. Bevor ich wieder meinen Platz einnehmen konnte, begann sie zu schluchzen, die Tränen rannen ihr über die Wangen, während sie eine Hand ausstreckte und mich kaum hörbar um Entschuldigung bat und das Wasser an ihre aufgesprungenen Lippen führte. Sie hatte sich im Sessel etwas aufgerichtet, um nichts zu verschütten, und ich sah, daß sie großgewachsen war, ihre Hände hatten Schwielen und die Finger kurzgeschnittene Nägel. (S. 42f.)

© 1999, Luchterhand, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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