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Leseprobe: Heinrich Steinfest - Die Haischwimmerin.

„Ich danke dir, Spirou“, sagte Ivo, der sich vorgenommen hatte, so oft als möglich den Jungen bei seinem selbstgewählten Namen zu nennen. Dieses Geschenk wollte er ihm machen.
Nicht, daß Ivo ein Freund der Kinder war, er war ein Freund der Bäume. Den Gedanken, wenigstens im Ansatz einst ein Vater gewesen zu sein, hatte er erfolgreich verdrängt. Und um Frauen mit einem ausgeprägten Kinderwunsche hatte er stets einen großen Bogen gemacht. Kinder waren ihm in all den Jahren gleichgültig geblieben. Mit einer Ausnahme. Für jenen Moritz, den Jungen, den er vor dem Tod bewahrt und dem er solcherart ein behindertes Leben beschert hatte, für diesen Jungen hatte er ein Gefühl der Zuneigung entwickelt. Beziehungsweise auch für dessen Mutter, die ihr Kind, das niemals mehr ein Erwachsener werden würde, im Rollstuhl durch Giesentweis schob. Mit dieser Frau war Ivo intim geworden, nicht aus Liebe, das kann man nicht sagen, sondern aus einer Verbundenheit, ähnlich der, welche Menschen empfinden, die an der gleichen schweren Krankheit leiden. Sowenig nun echte Liebe im Spiel gewesen war, war Ivo dennoch in einer so überaus zärtlichen und einfühlsamen Weise dieser Frau begegnet wie zuvor nur Lilli. Und auch den lallenden, sabbernden, mit einem fremden spiralartigen Blick in die Welt schauenden Moritz war Ivo bei gemeinsamen Spaziergängen vertraut geworden, sich mittels Grimassenschneiderei mit dem Kind austauschend, seine Haut und sein Kopfhaar berührend, die Hand haltend, sprechend, kommunizierend. Andererseits muß schon gesagt werden, daß Ivo stets das Gefühl gehabt hatte, er unterhalte sich mit einem hirnlosen, aber zu Affekten fähigen Medizinball. Eingedenk der ins Rundliche verwandelten Kopfform des ehemals schlanken Jungen. Sowie eingedenk der vielen Medikamente, die Moritz zu schlucken bekam, der Schmerzen wegen oder der Ruhigstellung wegen, so genau wußte man das nicht.
Warum aber rührte ihn nun dieser Junge namens Spirou? Weil er ohne Eltern war, weil er mit seinen dreizehn ein knatterndes Moped fuhr und Ausländern als Führer diente? Weil er sich in die Vorstellung geflüchtet hatte, ein Comicheld zu sein? Weil er trotz der Kälte diese dünne, fleckige Livree trug, mit drei goldenen Plastikknöpfen drauf? Weil er die Bettlaken gewaschen hatte, wozu scheinbar sonst niemand willens gewesen war? Schon gar nicht diese Frau drüben beim Herd mit ihren pinkfarbenen Strümpfen: weil er Deutsch gelernt hatte, perfekt gelernt hatte, nur um einen Comic zu verstehen, der bereits 1960 entstanden war?
Warum auch immer, Ivo mochte diesen Jungen. Genügend jedenfalls, um dessen Namenswahl, dessen Alter ego ernst zu nehmen.

(S. 136-138)

© 2011 Piper Verlag, München.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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