Leseprobe:
Hand auflegen
In Kirchen hatte ich früher grundsätzlich
meine Hand auf dem Geschlecht.
Meist die linke, da die rechte
das Gotteslob hielt.
Sie lag einfach da, ruhig und selbstgewiss,
sie kratzte nicht am Hoden,
weder wenn dieser juckte
noch bei anderen Fürbitten.
Fürbitten machten mich traurig.
Sie waren das Eingeständnis,
dass das Wünschen uns nicht hilft.
Das Gebet hat mich kaum erheben
können. Es presste mich zu oft in den
Schraubstock des Unausweichlichen.
Vollkommene Erstarrung.
Wollte ich aber aufstehen und
mit gesättigter Faust rufen, so,
jetzt packen wir es aber an!,
war der Elan bis zum
Weihwasserbecken verbraucht.
In früher Vorzeit des Bewusstseins fing ich damit an,
meine Hand auf mein Geschlecht zu legen.
Es ging ganz leicht.
Brief an die Korinther,
und schon lag die Linke
auf meinem Schwanz und die
Finger streckten sich hinab
in meinen Schritt.
Manchmal fragte ich mich,
wie es wäre, eine Möse zu haben
und sie bei der Bergpredigt zu reiben.
Manchmal war ich neidig auf das Gefühl,
ohne es zu kennen, je kennenlernen zu können.
Heute gehe ich nur der Kunst wegen
in Kirchen. Ich stehe nur noch in den Domen,
und im Stehen kann ich die Hand schlecht
aufs Geschlecht legen.
Als ich Caravaggios Matthäus-Zyklus in
der San Luigi dei Francesi sehe,
lege ich meine Hand an die Wange,
an die Schläfen,
an die Ohren,
an die Augen...
Ich bin für einen Augenblick ein Mensch,
den sich ein Gott nur wünschen kann.
Tierlos ganz, es rammeln die Gedanken.
(S.44-45)
© 2017 Limbus Verlag, Innsbruck