Textprobe:
Das Zimmer war in helles Licht getaucht, aber die Lampe brannte nicht, Laura hatte sie vor dem Einschlafen abgedreht. Sie war im Dunkeln gelegen und hatte den Abend, diesen unerhörten Weihnachtsabend, noch einmal vorüberziehen lassen. Sie schlief, sie musste träumen, nie war es in diesem Zimmer so hell gewesen. Dabei hatte sie die Augen fest geschlossen, sie war zu müde, sie zu öffnen. In den Schläfen spürte sie einen kleinen Schmerz klopfen, das kam vom Likör, den sie mit ihrer Mutter getrunken hatte. Sie tranken sonst nie Alkohol, nur Stephan, der trank für die ganze Familie. Aber das bisschen Kopfweh machte ihr nichts. Ganz zufrieden lag sie in ihrem Bett, in diesem überirdischen Licht. Ein vergnügtes Kichern kitzelte sie hinten in der Kehle. Vielleicht war sie ja noch immer beschwipst, oder war es doch ein Traum.
Nein, das konnte nicht sein, denn nun sprach Ewa auf der anderen Seite der Wand, Laura hörte sie so klar, als stünde sie im Zimmer neben ihr.
„Ich dachte, Mohammedaner trinken keinen Alkohol.“ Das sagte sie in ihrem üblichen missmutigen Tonfall.
Schade, dachte Laura, noch immer mit geschlossenen Augen. Das wäre doch zu schön gewesen, aber solche Wunder geschahen nicht in der Wirklichkeit. „Reich mir die Hand, mein Leben“, hatte sie gestern als Antwort auf Younis‘ Ständchen gesungen. Aus Don Giovanni. Weil er so gern mit ihr in die Oper gehen wollte.
(S. 18)
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