Als ich zum Hydranten ging, um etwas Wasser zu trinken, saßen Renate, Harry und sein Freund Ischu auf einer Bank daneben. Ischu war ein wenig älter als wir. Er war fertiger Mediziner und arbeitete im jüdischen Spital. Zu dieser Zeit war es schon aus dem imposanten Rothschild-Gebäude in die heruntergekommene frühere jüdische Volksschule in der Malzgasse verlegt worden.
An Ischu habe ich nur mehr eine ungenaue Erinnerung. Wäre nicht mein Tagebuch, hätte ich ihn vielleicht völlig vergessen.
Ischu war einer der wenigen völlig anständigen Menschen damals, und das hat ihn das Leben gekostet. Er weigerte sich, Ordner zu werden, obwohl das die Deportation bedeutete. Er ist nicht zurückgekommen. (S. 169f.)
Am Dienstag ging ich mit Kuno, den ich nach längerer Zeit wieder getroffen hatte, ins Kino. Als ich nach Hause kam, war die Tür versperrt und eine Nachricht steckte daran, daß ich zum Konsulat gehen sollte. Mein Vater wartete schon auf mich. Wieder einmal wurde ein Transport zusammengestellt, und da wir nicht sicher sein konnten, wen sie diesmal holen würden, hielt er es für klüger, wenn wir nicht zu Hause schliefen.
Diesmal konnten wir nicht im Konsulat bleiben, aber Vater hatte eine Unterkunft für uns gefunden. Das ältere Ehepaar, in dessen Wohnung wir die Nacht verbrachten, kannte ich nicht. Es war ein langer, unangenehmer Abend. Ich aß sehr wenig, um sie wenigstens nicht ihrer kärglichen Rationen zu berauben, und fand nur wenig Schlaf auf der harten Couch. Wir gingen gleich nach dem Frühstück weg, um sie so wenig wie möglich zu gefährden. Ich wanderte mit Einkaufstasche zu Fuß durch die Stadt, denn Vater hatte mich angewiesen, nicht vor dem Nachmittag nach Hause zu kommen.
Als ich dann ankam, war Vater schon da. Er hatte in Erfahrung gebraucht, daß ein Transport mit etwa fünfzig Menschen zusammengestellt worden war. Nun begannen die Sorgen um unsere Freunde. Von der Telephonzelle aus versuchte Vater zu erfahren, wen es erwischt hatte. Ich lief auf einen Sprung zu Ditha. Sie hatte zwar kein Telephon, war aber gewöhnlich gut informiert.
Zu unserer Erleichterung war keiner unserer Bekannten geholt worden. Aber gegen halb sieben Uhr abends läutete es an der Wohnungstür, ein langes Läuten. Da unsere Freunde die Gewohnheit hatten, zwei- oder dreimal kurz zu läuten, konnte das Böses bedeuten. Ich war allein zu Hause. Als ich, ein wenig beunruhigt, aufstand, um zu öffnen, wurde so anhaltend an die Tür geklopft, daß mein Herz wie wild zu hämmern begann. Sie kommen uns zu holen, kein Zweifel. Das Klopfen, nun mit einem scharfen Gegenstand, vielleicht einem Schlüssel, hielt an. (S. 200)
(c) 1996, Picus, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.