Nun war es soweit. Die Mutter hatte schon lange davon gesprochen, meist beim gemeinsamen Abendessen, das die Familie in der kleinen Küche, einem langen, sehr schmalen Raum, einnahm. Der Vater hatte jedesmal zustimmend genickt. Er kümmerte sich nicht um diese Dinge. Er ging tagsüber seinen ihn nicht allzusehr anstrengenden beruflichen Waldgängen nach und führte ansonsten ein recht altpatriarchalisches Regime. Er aß gerne. Er schlief viel und saß oft stundenlang mit dem Revierinspektor im Gasthaus, wo sie beim Tarock von der guten alten Zeit sprachen. Und obwohl er eine rote, zum Teil auch mit blauen Äderchen durchzogene, etwas knollige Nase in seinem breiten Gesicht hatte, konnte ihm keiner nachsagen, daß er einmal betrunken gewesen wäre; ein wenig in Stimmung, ja, doch dann ging er nach Hause und legte sich schlafen, ganz gleich, ob es Mittag oder Abend war. Aber betrunken, nein, betrunken hatte ihn noch niemand gesehen. Er nickte zustimmend, das hieß, sie sollten nur machen, daß alles in Ordnung käme. Er zwirbelte seinen Schnurrbart auf, er wischte sich die Lippen, er stocherte genußvoll mit einem Zahnstocher in einer Zahnlücke. Er ging seinem Beruf nach, bekam am Ersten des Monats mit der Post seinen Lohn zugestellt, quittierte dem Boten umständlich und mit einer zeremoniösen, großen und würdevollen Unterschrift den Empfang und kümmerte sich nicht weiter um das Hauswesen. Das war Sache der Frau. (Beginn von "Schlagschatten", S. 9)
Es was noch finster. Franz stand bei der Tür der Bahnhofshalle. Er zögerte. Draußen regnete es. Ein Frösteln überlief ihn. Unschlüssig schaute er zur Treppe zurück.
Dort standen zwei Matrosen und ein Fliegeroberfeldwebel, ein schmächtiger junger Mann. Franz sah das EK I, das Deutsche Kreuz in Gold, die Frontflugspange und die Bänder verschiedener anderer Orden an der Brust des blassen Jünglings. Schornsteine blieben ab und zu stehen. Staub und Rauch und die zersplitterten Hölzer der Träme, während hoch oben, im kristallklaren Blau, die dunklen Punkte weiße Linien, sanfte Schleifen in unberührte Seide zeichneten.
Es war düster in der großen Halle. Franz roch die Feuchtigkeit und scheute sich, den Raum zu verlassen. Das Deutsche Kreuz in Gold glänzte auf dem blaugrauen Tuch. Von den beiden Marinören sah Franz nur die Rücken.
Die zarten Finger um den Steuerknüppel, den Blick auf die Geräte gerichtet, die schwankenden Zeiger, dünne Striche über Ziffern, leuchtfarbengrün, und vor der Plexiglasscheibe blau und blau und darin irgendwo ein weißes Wölkchen und vielleicht noch eines und noch eines, meist tief unter der Maschine. (Beginn von "Totale Verdunkelung", S. 253)
© 1999, Deuticke, Wien, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.