Zwischen zwei Pappeln [...] setzt sich der Italiener, dem die Pizzeria gehört hat, auf eine der beiden Bänke. [...] (Er sitzt dort nicht wie an einem Ort, er sitzt dort wie jemand, der seinen Ort gefunden hat, ohne Besitzanspruch, vielleicht.) Er konzentriert sich ganz auf die Misteln. [...]
Während er schläft, trägt seine Frau den Teller und die Flasche zurück, nur die Olivenkerne lässt sie auf der Tischdecke liegen. [...]
Das Summen einer Fliege schreckt ihn auf. Blinzeln, sein Blick kriecht in den Moment. Es dauert, bis seine Augen sich an das Licht gewöhnen: Der Himmel erscheint ihm einen Moment lang azurblau, das von den Fenstern reflektierte Licht gleißend. Seine Frau, die die Olivenkerne auf der Tischdecke verteilt hat, sitzt ihm gegenüber. Abwechselnd beginnen sie die Kerne zu verschieben. Nie kommen zwei Kerne zugleich auf einem Feld zu liegen, nie nehmen sei einen Kern vom Tisch. Ich erkenne kein Muster in ihren Zügen, kann keine Spielregeln ausmachen. Es ist bloßes Verschieben, ohne Anfang und Ende. (Das auf den Kernen zurückgebliebene Fruchtfleisch trocknet ein, mehr geschieht nicht.) [...]
In einer der Pappeln hängt seit Jahren ein Drache. Die Farben sind längst ausgeblichen, aber im Herbst lässt der Sturm den Drachen oft knattern, ohne ihn vom Baum zu reißen. Und dieses Knattern wird manchmal so laut, dass es ein schwindelerregendes Weiß annimmt.
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Im Herbst fällt Nebel ein, und das Grau wird eine opake Masse, durch die hindurch wir oft nicht einmal bis zur gegenüberliegenden Straßenseite, geschweige denn in eine Zukunft sehen können. Noch der Schnee hier, Industrieschnee, dünn und hart, fällt grau. Dann lege ich, weil mir keine Wahl bleibt, den Kopf in den Nacken, öffne den Mund, soweit es geht, und strecke die Zunge heraus: Wie schmeckt grau? Meine Lippen zittern vor Anstrengung und Verwirrung. Auf der Uvula schmelzen die Eiskristalle: Wie schmeckt "ohne Aussicht"? Zugleich ist man dankbar für den Winter, der es einem erlaubt, die Kälte, die sich in einem festgesetzt hat, mit der der Jahreszeit zu verwechseln. Sobald er aber zu Ende geht, gibt es nichts mehr, womit man sich betrügen knnte. Man lebt ja eigentlich gar nicht, muss man sich eingestehen, während die Temperatur steigt und die Umgebung grün wird, man existiert ja nur (Und: Etwas haben, worauf man sich konzentrieren kann. Selbst wenn es nur das Schleudergeräusch einer Waschmaschine ist. Es könnte einem das Denken aus dem Kopf waschen, immerhin?)
"In der Langfeldsiedlung", heißt es, "leben mehr Tschuschen als Menschen. Und: "Die Langfeldsiedlung hat ein roteres Herz als Wien."
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