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Clemens Berger: Im Jahr des Panda.

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Rezension

Leseprobe

1
Wenn Pia die alten Scheine aus dem Automaten nahm und durch neue ersetzte, überkam sie jedes Mal ein Gefühl, das sie lieber für sich behielt. Eine Arbeit wie alle anderen, sagte sie, falls jemand mehr wissen wollte, bloß behaupteten das Totengräber und Henker wahrscheinlich auch, denen sie genauso wenig geglaubt hätte wie sich selbst. Man musste glauben. Das war die Hauptsache.
Man musste glauben, dass die Scheine, die Julian und sie in der Nationalbank in Empfang nahmen, den Kreislauf gewährleisteten, der Menschen versicherte, jederzeit abheben zu können – wenn es etwas abzuheben gab. Man musste glauben, dass die Bündel etwas wert waren, man damit so und so viel kaufen konnte, dass nicht besonders wertvolles Papier tatsächlich gegen Nahrung, Kleidung, Reisen, Gefühle und weiß der Teufel was noch eingetauscht werden konnte.
Der Teufel wusste es: Gegen alles; vor allem gegen Menschen.
Man musste glauben, dass die Scheine überall verstanden wurden, man sie anderswo in andere übersetzen konnte, um anderswo mehr oder weniger oder in etwa gleich viel dafür zu bekommen. Man musste glauben, dass man mit vielen großen Scheinen viel bewegen, ein sorgenfreieres Le-
ben führen konnte. Man musste dem Schein seinen Schein abnehmen, die Zahl, die auf ihn gedruckt war und in der Welt etwas bedeutete. Man musste glauben, dass man es glaubte.
Es war Nacht, wenn Pia in blaugrauer Uniform aus dem Auto stieg, sich kurz umsah und das Foyer einer Bank betrat. Julian saß hinter dem Steuer, blickte abwechselnd in den Rück- und in die Seitenspiegel, seit anderthalb Monaten trug er eine Waffe, die er selbst hatte anschaffen müssen. Es war angenehm, wenn niemand da war, es war unangenehm, wenn sie Menschen bitten musste, einen Augenblick auf der Straße zu warten – vor allem an Wochenenden, wenn manche grausam betrunken waren und in ihr die große Spielverderberin erkennen wollten. Sie sperrte das Foyer ab, öffnete einen Automaten nach dem nächsten, nahm den Zählerstand ab, die alten Scheine aus den Kassetten und fütterte sie mit neuen, die genauso frisch und glatt wie die alten waren.
Das Frösteln, das Erschaudern, das Ziehen in der Brust, wenn sie mit den gebündelten Scheinen hantierte, und gleichzeitig die sengende Wärme in ihrem Kopf, das Pochen an den Schläfen, die Ruhe des Blutes, das unabstellbare Kribbeln. Das war, wie ihr Körper auf die vielen Scheine und die damit verbundenen Möglichkeiten reagierte. Etwas tief in ihr reagierte anders. Und zwar mit Hoffnung.

Pia schämte sich, als sie Julian ein Zeichen gab, weil sie im selben Moment erkannte, wie harmlos der Mann war. Er lag auf dem Boden in einer Ecke, in einen langen schwarzen Filzmantel gehüllt, eine pralle Tragetasche aus Plastik unter dem Kopf, eine zweite lehnte an der Wand. Langsam hob er seinen Kopf und sah sie mit offenem Mund und toten Augen an. Der Mann war unrasiert, sein struppiger Bart grau, zuallererst waren ihr die langen Nägel und der Schorf im Gesicht aufgefallen. Sie hätte nicht sagen können,
wie alt er war. Er hätte siebzig, aber auch fünfzig sein können. Er hatte sich zur Hälfte aufgerichtet und blickte sie ängstlich an.
»Bleiben Sie liegen. Aber drehen Sie sich zur Seite.«
Pia wusste, das war falsch. Sie wusste, sie durfte das nicht tun. So etwas hatte sie noch nie getan, höchstwahrscheinlich gab es eine Verordnung oder ein Gesetz, das in Bankfoyers zu schlafen untersagte. Sie blickte zu den Kameras, als wollte sie sich entschuldigen. Bloß wofür? Sie wandte sich abermals den Automaten zu. Von dem Mann, der sich folgsam zur Wand gedreht hatte, ging keine Bedrohung aus. Aber wenn man sie sah und bemerkte, dass sie ihn nicht aus dem Foyer vertrieb, bekäme sie Probleme, harmlos hin oder her. Sie konnte keine Probleme gebrauchen, ihr Leben war problematisch genug, bisweilen war ihr, als könnte sie jeden Augenblick platzen. Vier Automaten benötigten frische Banknoten, Pia durfte nicht trödeln, ihr Zeitplan war straff und wurde in Echtzeit überwacht. Was war das schon wieder, Echtzeit? Als gäbe es eine andere.
Es war eine Schande, und es war das Wort »Schande«, das Runden in ihrem Kopf drehte, während sie die Automaten entleerte und wieder befüllte und bereit zur Ausgabe machte. Sollte er sich sträuben, könnte sie ihn entfernen oder entfernen lassen. Es lag in ihren Händen. Er lag in ihren Händen. Sie war angehalten, ihn zu entfernen oder entfernen zu lassen. Stattdessen hatte sie sich mit ihm im Foyer eingesperrt. Er atmete tief, sie spürte ihn im Rücken, von der Ecke breitete sich ein unangenehmer Geruch aus.
Und da, in ihren Händen, war all dieses Geld. Das eigentlich niemandem gehörte.
»Natürlich gehört es jemandem.«
»Ach ja?«
»Der Bank zum Beispiel?«
»Scheiß auf die Bank! Woher hat denn die das Geld?«
»Von denen, die es ihr anvertrauen?«
»Von sich selbst! Von der Notenpresse!«
»Ach ja?«

(S. 9-12)

© 2016 Clemens Berger

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