logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   
Facebook Literaturhaus Wien Instagram Literaturhaus Wien

FÖRDERGEBER

Bundeskanzleramt

Wien Kultur

PARTNER/INNEN

Netzwerk Literaturhaeuser

mitSprache

arte Kulturpartner

Incentives

Bindewerk

kopfgrafik mitte

Leseprobe: Peter Steiner - "GAP"

Hier, am Feuer liegend, von Krankheit niedergehalten, alles aus dem schrägen Winkel des Bedrängten sehend, wechselten Vorbilder und Nachbilder fast ohne Unterschied. Beobachtete er oder träumte er? War das Bild gegenwärtig oder Nachklang von Impulsen? Wie auch immer! Entstand nicht jedes Bild auf Kosten eines anderen? In dem bildlosen Augenblick des Übergangs steckte vielleicht die Zeit. Sein Auge, obwohl blitzschnell, war ein langsames Organ. Beim Öffnen wie beim Schließen dauerte es eine ganze Weile, bis er wirklich sah. Das innere Auge war zwar beweglicher und sein Horizont fast unbegrenzt, aber es unterlag derselben Beschränkung, nicht zwei Bilder auf einmal sehen zu können, immer nur eines, so wie es seinem Gehirn unmöglich war, zwei Gedanken auf einmal zu fassen. Sein Auge glich einem Kippschalter zwischen Tageslicht und Kunstlicht. Hob er das Lid, erschien Primitivo, Pacho, das rußschwarze Dach, ein ausholender Arm, der durch die Luft fliegende Stein, Staub neben dem Holzscheit - der Wurf war zu weit gegangen. Er sah den Regen vor der Tür und wie das Wasser im Fluß anschwoll. Schloß er die Lider, öffnete sich ihm die Welt der Erinnerung. Während der kurzen Dunkelphase konnte er lenkend eingreifen oder alles dem Zufall überlassen. Begab sich Inés auf den Weg zu Bar? Öffnete Sophia ein Bündel venezianischer Akten? Kletterte er schon durch die Schlucht oberhalb des Wasserfalls, die er sich auszumalen begonnen hatte? Manchmal entstand der Eindruck, er könne der Zeit vorgreifen. Aber in Wahrheit spielte die Vergangenheit ihren alten Trick mit ihm. Seine Vorstellung war nichts als ein Nachstellen. Er griff in den Fundus seiner Erinnerung und baute sein Zukunftsbild, einen Rohling der Wirklichkeit, den er tags darauf mit geschärftem Blick ausfeilen und mit naturtreuen Farben und Glanzlichtern versehen würde.
Vorausgesetzt es hörte zu regnen auf. Wenn nicht, bliebe er weiter neben der Herdstelle liegen, hoffend, das Hämmern im Kopf zerschlage ihm die Bilder nicht restlos, damit ihm wenigstens Splitter blieben, zum Beispiel wie im Kaleidoskop. Warum sollte nicht einmal Inés den Weg zur Burg antreten? War sie je in blauem Morgenlicht einen Bergfelsen entlang gegangen? Sophia läge an ihrer Stelle in der stickigen Kammer hinter dem mit Zeitungspapier verklebten Fenster. Ruß in den Fältchen des Gesichts, schliefe sie durch den Tag, um am Abend das Taxi zu besteigen. Über der Stadt läge eine zähe, gelbe Wolke, Sophia, an flache Schuhe gewöhnt, streckte die Arme seitlich aus, um auf den hohen Absätzen zwischen den Pfützen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Seltsam, das kleine, schwarze Täschchen in ihrer Hand baumeln zu sehen! (S. 234f.)

(c) 1998, Otto Müller, Salzburg, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Grenzenlos? (Literaturedition Niederösterreich, 2020) - online

Do, 14.01.2021, 19.00 Uhr Buchpräsentation mit Lesungen Die Veranstaltung kann über den Live...

Super LeseClub mit Diana Köhle & David Samhaber - online

Mo, 18.01.2021, 18.30-20.30 Uhr online-Leseclub für Leser/innen von 15 bis 22 Jahren Anmeldung...

Ausstellung
Claudia Bitter – Die Sprache der Dinge

14.09.2020 bis 25.02.2021 Seit rund 15 Jahren ist die Autorin Claudia Bitter auch bildnerisch...

Tipp
LITERATUR FINDET STATT

Eigentlich hätte der jährlich erscheinende Katalog "DIE LITERATUR der österreichischen Kunst-,...

OUT NOW flugschrift Nr. 33 von GERHARD RÜHM

Die neue Ausgabe der flugschrift des in Wien geborenen Schriftstellers, Komponisten und bildenden...