Der alte Mann
Nein, du siehst ihn nicht. Er steht nicht auf dem Plakat. Er stand in New York nicht drauf. Er stand in Annapolis nicht drauf. Er stand in Charleston nicht drauf. Er stand in Philadelphia nicht drauf. Nicht in Williamsburgh, nicht in Baltimore und nicht in Boston. Der Name des Komponisten stand drauf, immer nur der Name des Komponisten. In Prag stand der Name des Librettisten drauf, ganz groß: "Die vortreffliche Poesie ist von dem kaiserlich-königlichen Hofdichter Herrn Lorenzo Da Ponte." Darunter, verschwindend klein, nur mit größter Anstrengung zu lesen: "Die Musik ist von Herrn Kapellmeister Mozart." Nicht anders verhielt es sich bei "Figaros Hochzeit" und bei "Cosi fan tutte" in Wien: "Die wunderbare Dichtung ist von Herrn Lorenzo Da Ponte, Dichter des italienischen Singspiels am k. u. k. Hoftheater." Ich bin Lorenzo Da Ponte, das ist mein "Don Giovanni". Ich muß da hinein, ich muß auf die Bühne. Ich muß den Menschen offenbaren, daß es mein Kind ist, das sie bewundern. Ich war der Gott von Wien, die Sonne, an deren Strahlen sich die anderen wärmten. Eintagsfliegen der Kunst, Nutznießer meines überragenden Talents. Martini war bekannt, natürlich nicht so bekannt wie ich. Schenk war populär. Seine Oper "Im Finstern ist nicht gut tappen" wurde immerhin sechzig Mal gespielt. Mozart war so gut wie unbekannt. Für "La Clemenzia di Tito" nahm er nicht mich, sondern Mazollà als Textdichter. Es war ein rasender Mißerfolg, nebbich. Von da an brauchte er ständig Geld, machte nur mehr Schulden, und ein Jahr später war er tot. So liegen die Dinge. Die Amerikaner haben keine Ahnung. Ich muß es ihnen offenbaren.
(S. 17 f)
© 2002, Suhrkamp Verlag, Frankfurt / M.