Mein Israel
Es war nicht immer mein Israel. In den Sechzigerjahren solidarisierte ich mich wie viele Linke mit den unterdrückten Völkern der Dritten Welt, und das palästinensische zählte dazu. Wir Linken machten viele Dummheiten, diese zählte zu den größten.
Ob man will oder nicht, Israel ist Erbe der Schoah oder, wie es Dan Diner einmal ausgedrückt hat, „Verlängerung der Geschichte“. Es sind nun mal meine Leute, die vernichtet wurden, und es sind wieder meine Leute, die jetzt und zukünftig vernichtet werden, wenn es nach dem Willen Irans und Syriens geht, nach dem Willen von Hamas und Hisbollah. Die Führer der Palästinenser – übrigens die umbarmherzigen Feinde des palästinensischen Volkes – haben zu keiner Zeit den Traum aufgegeben: Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer. Seit fast sechzig Jahren kämpft Israel um sein Überleben. Aber wie immer sind die Juden ja bekanntlich an ihrem Unglück selber schuld. Die veröffentlichte Meinung, die sich neutral gibt, verteilt gleichmäßig Rügen an beide Seiten, tut so, als gäbe es eine mittlere Position. Die einen wollen die anderen vernichten, die andern wollen bloß in sicheren Grenzen leben. Zieht sich Israel aus Gaza zurück, wird es sofort von dort beschossen; nach dem Rückzug aus dem Libanon baute sich die Hisbollah dort wieder auf, stärker denn je. Israel findet keinen verantwortlichen und durchsetzungsfähigen Ansprechpartner, aber mit denen, die es auslöschen wollen, soll es verhandeln. Worüber? Über die Modalitäten der Auslöschung?
Jetzt spricht man von den Opfern in der Zivilbevölkerung. Doch so wie die palästinensischen Führer ihre Kinder zum Steinewerfen nach vorne geschickt haben, feige, wie sie immer schon waren, so verstecken die Hisbollah und die Hamas ihre militärische Infrastruktur inmitten der Zivilbevölkerung, wie das jede Guerilla macht. Solange also das Volk diese Führer duldet und sie sogar wählt, erleidet es die Folgen dieser Duldung. Was soll mein Israel tun? Tötet es gezielt die Strippenzieher, heult die Welt auf. Muss es flächendeckend vorgehen, um die militärische Infrastruktur zu treffen, heult die Welt auf.
Am besten wäre es, wenn die jüdischen Israeli alle auswanderten. Halt, das wäre der Welt nicht recht. Dann müsste sie Millionen Juden erdulden. Besser noch, die Juden stürzen sich selber ins Meer.
Der unterirdische Strom der Judenverfolgung führt von den römischen Verfolgungen, den christlichen, den Pogromen im Osten über die Schoah in mein Israel herauf, ergießt sich als Blutmeer in die Gegenwart. Dabei bedarf es vonseiten der Palästinenser bloß dreier Säte:
Anerkennung Israels in sicheren Grenzen von 1967, Versöhnung mit dem palästinensischen Staat und statt Rückkehrrecht der arabischen Flüchtlinge von 1948/49 großzügige Wirtschaftshilfe durch Israel, die USA und die EU.
Schon wäre Friede. Wir Juden hätten eine Heimstatt und wären gleichberechtigtes Mitglied der Völkerfamilie Naher Osten, übrigens durchaus zum Segen dieser Völker.
© 2011 Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin.