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Leseprobe: Wolfgang Hermann - Die Augenblicke des Herrn Faustini.

Was führt Sie zu mir?, fragte Frau Nussbächle mit ausbalancierter Freundlichkeit. Zugleich mit der Freundlichkeit schwang auf dem Resonanzboden ihrer Stimme die Bereitschaft, sich nun eines Problembergs anzunehmen und ihn Schicht für Schicht umzugraben. Frau Nussbächles Augen ruhten mit einer ihm bislang unbekannten Verbindlichkeit auf Herrn Faustini. So war das wohl, wenn man einen Menschen in Reparatur hatte. Schließlich war der Mensch das heikelste Präzisionsinstrument, noch heikler als sein alter Braun-Rasierer – requiescat in pacem – je gewesen war.
Ich habe, sagte Herr Faustini vorsichtig, und noch vorsichtiger sprach er weiter: einen Riss. In Frau Nussbächles Augen keine Reaktion. Oder besser, fügte Herr Faustini mit etwas mehr Mut hinzu, einen Zwischenraum. Ich habe so ein Gefühl, nein, das ist es nicht, ich habe mehr so ein Gefühl, als hätte ich ein Gefühl. Weil mir nicht mehr klar ist, wen ich eigentlich meine, wenn ich Ich sage.
In Frau Nussbächles Augen keine Reaktion.
Aber ich möchte nicht vom Riss ablenken, sagte Herr Faustini jetzt schon wie selbstverständlich. Alles ist indirekt. Ich sehe jemanden über die Straße gehen und ich höre in mir jemanden sagen: Jemand geht über die Straße. An einem Gartenzaun sagt ein Mann zu einem anderen: Das Kricket-Spiel ist auch nicht rasenschonend. Ich gehe in diesen Satz hinein und finde den Ausgang nicht. Was geht mich das Kricket-Spiel an? Direkt und indirekt gar nichts. Über so einen Satz wäre ich früher drübergestiegen wie über ein Brett auf einer Baustelle, die versehen ist mit dem Hinweis: Betreten der Baustelle verboten. Jetzt bleibe ich in irgendeiner Krümmung eines solchen Geht-mich-doch-nichts-an-Satzes hängen und finde nicht mehr hinaus. In der Küche stoße ich auf einen Einkaufskorb voll mit lauter brauchbaren Sachen. Putzmittel, Taschentücher, eine Glühbirne, sechzig Watt. Einen Augenblick frage ich mich, wer die Sachen gebracht hat. Mir fällt ein, dass ich heute Früh hinaus bin zum Supermarkt. Ich erinnere mich, dass ich auf dem Rückweg den Einkaufskorb hin- und hergeschwungen und dazu gepfiffen habe. Jetzt steht der Einkaufskorb wie ein Ding aus einer anderen Welt da. Um den Einkaufkorb herum der Riss. Um das Haus herum der Riss. Um den Herd herum der Riss. Ich koche, doch ich merke kaum, dass ich koche. Ich lasse die Herdplatte eingeschaltet. Ich setze mich an den Tisch und esse. Das Essen erinnert mich daran, dass ich es bin, der isst. Aber mit der Zeit vergesse ich es wieder und kaue vor mich hin, ohne es wahrzunehmen. Erst die glühende Herdplatte holt mich zurück, aber nur solange sie glüht.

(S.19/20)

© 2011 Haymon Verlag, Innsbruck-Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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