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Mladen Savic: Narrenschiff auf großer Fahrt.

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Schweinerei

Wie die Zeiten sich doch ändern ... Noch nie haben sich die Verleumder, Schinder und Betrüger, die Diebe und Halsabschneider, die Ausbeuter und deren Winkeladvokaten, die Spekulanten, Politiker und käuflichen Beamten, kurz, die große Kapitalistenklasse und ihr kleinkariertes bis korrupt-kriminelles Umfeld so sicher, beschützt und unnahbar gefühlt wie dieser Tage. Es scheint beinahe, Besitz befuge zur Beraubung, Besitz stelle über das Gesetz, Besitz berechtige zu jedweder menschlichen Schweinerei. Die falschen Schöngeister, ach ja, sie sprechen von anderen Dingen derweil ... Die Besitzenden auf jeden Fall glauben an ihr Vorrecht, die Besitzlosen so einspannen zu dürfen, wie Farmer ihre Rinder halten und Cowboys ihre Pferde satteln. Allein, die Klangfarbe des Kapitals klingt freundlicher und viel geschäftlicher beim Unterbreiten seines verlockenden Angebots: sich kaufen zu lassen.
Wenn es doch, was unbestreitbar ist, Kapitalismus gibt, dann muss es auch die Kapitalisten geben, die reichen Müßiggänger und hauptberuflichen Erben, die Ausbeuter und Kassierenden großen Stils! Was gesellschaftlich an materiellen Werten und gemeinsam an Wohlstand in der Welt geschaffen wird, eignen sie sich an, auf legalem Wege wohlgemerkt, der nicht immer auch der moralischste ist, und heimsen ihn ein und behalten ihn, als wäre die Ausbeutung von Menschen und Ländern ihr gutes Recht. Niemand stößt sich kulturell daran, außer stellenweise an der Form und Erscheinung. Hässliche Bilder sind hin und wieder unbeliebt, hingegen: aus den Augen – aus dem Sinn. Und sie selbst, die Blutsauger, die von fremder Arbeit, Zeit und Mühe leben, haben in der Kultur des Kapitals nichts zu befürchten, weder vom Staat, der ihre Interessen bedingungslos bedient, noch vom Volk, das derlei Marotte, Niedertracht und Machenschaft für natürlich hält und am liebsten daheim selber Goldklinken und Silberbesteck anfassen würde. Darum wirkt das Dogma der Profitmacherei nun ebenso unumstößlich wie einstmals der mittelalterliche Gottesterror auf Schritt und Tritt.
Unter diesen Daseinsbedingungen gemeinsamen Schaffens und ungleicher Verteilung, in derartigen Zuständen der dreisten Selbstbedienung von Besitzenden an der Allgemeinheit mitsamt der allgemeinen Billigung, in den gegenwärtigen Klassenstrukturen, die als Lebenskonzept längst massenhaft in die Köpfe gesickert sind, ist ein moralisches Verhalten zur Torheit und Tollheit geworden, zu einer Art Selbstverletzung verkommen und letztendlich zu einer unklugen, unvorsichtigen Handlung. Grob geht es da draußen zu. Geistig gesunde, gute Menschen, die nicht vorab nach ihrem Vorteil spähen, sondern den anderen auch helfen, ihnen Glauben schenken und wohlwollend an ihrem Schicksal teilhaben, werden nach Strich und Faden ausgenutzt und gelten neuerdings als Tore und Trottel. Und das soll Normalität sein? Nach was für einem Richtmaß denn!
Nur noch der organisierte Wahnsinn der instrumentellen Verwertung, andere Menschen für private Zwecke zu missbrauchen und für die eigenen Ziele einzusetzen, wird als normal angesehen, mitunter auch als vornehm – sofern man es versteht, den Schweiß vieler Unbekannter in klingende Münze zu verwandeln. Die Bereicherung, egal wie und auf welche Weise, stellt somit den zeitgenössischen Gottesbeweis dar, insoweit als grenzenloser Besitz auch gottähnliche, unbegrenzte Möglichkeiten verschafft. Ist es nicht so? Wer viele Menschen erfolgreich ausgebeutet hat und hernach in Saus und Braus lebt, derjenige "hat es geschafft", heißt es im heutigen Sprachgebrauch. Wer wagt es zu behaupten, dieses Wissen wäre geheim und unzugänglich und hätte nicht vor Ewigkeiten alle Welt erreicht! Die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern.
Und schlimmer noch: Alles ist dazu bereits gesagt worden, abermals, und nicht nur von bärtigen Männern des vorvorigen Jahrhunderts, alles ist so altbekannt, fast schon abgegriffen als Thema und menschliche Tragödie, und alledem folgt höchstens ein langes, gelangweiltes Gähnen –und ein Weitermachen wie bisher. Jahrein, jahraus stellt man in den Massenmedien süffisant fest, dass heuer die Kluft zwischen Arm und Reich wieder einmal gewachsen sei. Oh! Damit hat sich, warum auch immer, die Story bis zum nächsten Jahr anscheinend erledigt. Die Schuldigen kommen straflos davon; ihr Treiben ist ja Gesetz. Ihr Gewissen, erfunden nur für Werbezwecke, ist ohnehin keines und daher für Appelle unempfänglich. Strafen allein brächte wenig. Ausgerottet soll sie werden, ihre gesellschaftliche Rolle! Die Mitschuldigen werden für ihre niederen Dienste am Kapital fürstlich entlohnt, während man den Geschädigten weiterhin den feuchten Traum vom großen Geld verklickert, tagein, tagaus. Und sie fressen es – und arbeiten weiter für Brösel vom Kilo und essen und schlafen und zeugen Nachwuchs für Plantagen, Kasernen, Fabriken und Kanzleien.
Was vom Stocken und Bröckeln der Gesellschaft bleibt, die sich in aller Schlechtigkeit auch noch als alternativlos ansieht, ist der unbeirrbare Glaube an die Schicksalshaftigkeit von Ungerechtigkeit und die hinfällig heuchlerische Haltung, dass eine gemäßigte Form von Unrecht, ein kleinerer Ausbeutungsgrad, sozusagen ein "faires" Auspressen fremder Zeit und Lebenskraft aus fadenscheinigen Gründen wieder irgendwie "okay" wäre ... Von da her das übliche Lob: für die institutionelle Flickschusterei, die wenig bis gar nichts Wesentliches ändert, für die Reformen über Reformen, die sich in der Regel verlaufen oder auf Kosten einer tragfähigen Zukunft gehen, für partielle oder für allmähliche Lösungen von akuten Problemen, für humanitäre Hilfe und zivilgesellschaftliches Engagement usw.
Doch die elementare Frage, unter welchen Bedingungen diese Schweinerei endlich ein Ende nehmen würde und wie man aus der Vorzeit der Menschenschändung nur heraustreten könnte, wird nicht einmal von jenen gestellt, die behaupten, menschenunwürdige Verhältnisse abzulehnen. Für sie ist die Fragestellung selbst eine "große Erzählung", ein nie eingestandener religiöser Reflex, säkulare Heilslehre und verkappter Erlösungsglaube, missionarische Befangenheit oder – was immer das auch heißen soll – "Gerechtigkeitsfanatismus". Die Angelegenheit, durch und durch praktisch, bekommt, wo und wenn man die Elementarfrage stellt, prompt einen theoretischen Anstrich, allerdings ohne die begleitenden, gemeinsam besprochenen und geprüften, stichfesten Theorien und Argumente. So verläuft es sich im Nichts. Absurder könnte es nicht sein: Sogar die Revoluzzer haben nunmehr Angst vor Revolution! Die Liberalen reden so, als sei die Würde des Menschen unantastbar, und wissen genau, dass sie es nicht ist. – "Würde" ist ein Konjunktiv! Länge mal Breite ist sie der kapitalistischen Schändung preisgegeben. Morgen werden wieder Millionen von Mittellosen, einen Arbeitsplatz suchend, in der Schlange stehen, um der Versteigerung ihrer Arbeitskraft und Lebenszeit live beizuwohnen.
An den Schweinen, diesen klugen Tieren, die sowieso arm dran sind in der Massenhaltung im Tierlager, vergeht man sich, wenn man die einer höheren Zivilisation unwürdige und unhinterfragte Herrschaft von Mensch über Mensch einfach nur eine Schweinerei nennt. Sie ist viel mehr. Die sich fügen und belügen, haben sich dafür entschieden. Sie halten, trotz bescheidenen Besitzes, das Haben trotzdem für das Sein. Diejenigen, die sich nehmen, was sie kriegen, haben weitaus weniger entschieden. Wenn sie im Haben leben, fühlen und denken, sind sie weit weg von der Wirklichkeit und kennen kein anderes Sein und begreifen keins. Jedes Wort auf diesem Stück Papier reiht sich ein in die gewaltige, geschichtliche Stimme der Namenlosen, die sich sehnsüchtig den Untergang dieses von Grund auf falschen Systems herbeiwünschen. Es wäre zu wünschen, dass die Mächtigen eines Tages wieder angsterfüllt vor deren Donnerchor ohne Rang und Namen erzittern. Wo sollten sie auch hin! Auf der Erde sind alle Gefangene; von hier gibt es kein Entkommen.

(S. 106 – 109)

© 2020 Drava Verlag, Klagenfurt

 

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