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André Heller: Zum Weinen schön, zum Lachen bitter.

Leseprobe:


Ich will es nicht mehr haben. Es macht mich kaputt. Es schlägt mich in Scherben. Gestern Mittag war ich so müde, dass ich grundlos lachen musste. Mein Gesicht hat mit mir plötzlich gemacht, was es wollte. Das kommt vom vielen Unentschlossensein.
Nichts strengt mehr an, als ohne Entscheidung zu leben. Man hat bald keine Mitte mehr und muss immer geschickter balancieren, um nicht zu stürzen. Aber woher soll das Eindeutige kommen? Ich wünschte, man könnte in ein Geschäft gehen und eine Bestellung auf einen klaren Kopf machen. Ein Entweder/Oder brauch ich, aber alles, was ich denken kann, ist sowohl/als auch.
Weil es wahr ist: Der eine ist ein Glück für mich und der andere ist ein Glück. Und doppeltes Glück macht einen offenbar unglücklich. Gott selber hat sich nie entscheiden können und alles in tausend Variationen geschaffen. Wenn man sich nur die Tiefseefische im »Haus des Meeres« anschaut, weiß man schon ganz genau, was für einer Gott ist.
Und ausgerechnet ich soll sagen: Der ist es. Aus Milliarden Männern nur der. Ich weiß nicht, ob man wirklich zwei lieben kann, aber es zerrt ja nicht nur die Liebe an einem herum, es gibt ja auch noch die Vertrautheit und die Moral und den Kleinmut und die Rücksichten und die Vernunft.
Ich hab ja nicht leichtfertig geheiratet, sondern mit dem Willen zur Ewigkeit. Er war mir ja alles und mehr. Und seine Hände waren die zärtlichsten, und wenn er geschwiegen hat, war es noch interessanter als die verrücktesten Geschichten der anderen.
Und jetzt, wenn ich etwas unterschreiben muss, stört es mich ein wenig, dass ich seinen Namen trag, den ich mir früher so gewünscht habe. Es ist eine Schande, wie kurz manchmal die Ewigkeit ist. Wie kann ich mir noch jemals vertrauen, wenn mein Urteil, für das ich Jahre überlegen konnte, nicht standgehalten hat.
Der andere ist sich so unbeirrbar sicher, und das gefällt mir an ihm. Das und seine Grenzenlosigkeit. Er hat keinen endgültigen Umriss und doch nichts Ungefähres. Man schaut bei ihm in eine große Kraft, die auch etwas Furchterregendes hat, weil sie das Ende jeder Bequemlichkeit ist. Aber womöglich sind die Geliebten alle so, ehe man sich ganz für sie entscheidet. Vielleicht ist das ihr Lockmittel, das nur im Unentschiedenen gedeiht.
Es ist wirklich nicht leicht. Zuerst habe ich immer das Gefühl gehabt, meinen Mann mit dem anderen zu betrügen, und jetzt weiß ich manchmal schon, dass ich den anderen mit meinem Mann betrüge.
Was sind das überhaupt für Wörter: der andere und mein Mann. Beide sind mir ganz nahe und immer wieder, Augenblicke später, ganz fremd. Die Wahrheit ist, der Geliebte ist mir öfter fremd als mein Mann. Ich kenne ihn ja auch um fünf Jahre kürzer.
Das Fremdsein hat aber auch sein Gutes. Auf vieles ist man ganz unvorbereitet und lernt sich selber in neuen Situationen kennen. Das Fremde ist immer die Voraussetzung für das Abenteuerliche, und ohne das Abenteuer habe ich kein frohes Herz. Trotzdem bekomme ich oft mitten im Abenteuer Heimweh. Ich glaube, nur wenn mir ein Mensch begegnet, der das Vertraute mit dem Abenteuer in Einklang bringen kann, werde ich gerettet sein.
So leicht ist das und so schwer.
Vielleicht sollte ich einmal wirklich frei sein. Ich bin ja immer von einer Abhängigkeit zur nächsten gelangt. Von den Eltern zu den Freunden, von den Freunden zu den Verlobten, von den Verlobten zum Ehemann und jetzt von ihm zum Geliebten.
Ich habe das Alleinsein nie gelernt. Immer nur gefürchtet, dass Alleinsein Einsamkeit bedeutet. Aber bewiesen hab ich mir das nicht. Meine Schwester behauptet, dass man auf das Alleinsein süchtig werden kann. Man ist sich mit einem ständigen Partner gar nicht bewusst, aus wie viel Rücksichtnahmen und Selbstverleugnungen vierundzwanzig Stunden bestehen, sagt sie.
Und wenn sich die Persönlichkeiten unterschiedlich entwickeln, empfindet das der andere immer als Verrat an einer Übereinkunft, für deren Garantie nur ein Idiot die Verantwortung hätte übernehmen können. Dann beginnen die meisten, ihre seelischen Bedürfnisse zu verheimlichen, oder sie verwirklichen sie auf Kosten des anderen. Sagt meine Schwester. Aber die hat eine sehr große Nase und ist ziemlich dick, und es könnte auch der Fuchs aus ihr sprechen, dem die Trauben zu hoch hängen.
Gute Ratschläge sind allesamt einen Dreck wert. Man muss sich auf das Spüren verlassen. Wenn es nur nicht so viele Arten von Spüren gäbe. Das Spüren beim Aufwachen, und er schläft noch neben einem und ist absichtslos und staunt seine späten Träume an. Das Spüren, kurz ehe man jemand wiedersehen wird, den man lange vermisst hat. Und man stellt sich den Klang seiner Schritte vor und die vertraute Bewegung mit der Hand über die Stirne. Das Spüren, wenn man im Theater mit dem Ehemann einige Reihen entfernt vom Geliebten sitzt, und der Hauptdarsteller sagt jene Sätze, die der Geliebte gestern Abend nach Erwähnung des Stückes zitiert hat. Das Spüren. Das Spüren. Das Spüren, wenn man weiß, es ist endgültig vorbei, und das Spüren zwei Minuten später, wenn man weiß, es wird niemals vorbei sein, nicht vor dem letzten Atemzug. Das Spüren. Das Spüren schlägt Haken. Das Spüren ist launenhaft. Und doch, es muss ein Gefühl geben, das unantastbar ist, unbesiegbar, unbeirrbar, unaufschiebbar.
Ich weiß nicht, ob man darüber gar nicht nachdenken soll, weil es mit dem richtigen Menschen ohnedies von selbst kommt. Holt es einen gewissermaßen ab, oder muss man aus großer Höhe springen, um es je berühren zu können? Ist Springen fahrlässig oder notwendig? Man weiß es erst nachher, wenn es dann überhaupt ein Nachher gibt. Ich kenn nämlich einige, die ihren Mut nicht überlebt haben. Das heißt, sie haben weitergelebt, aber irgendwie waren sie innerlich durch die Wucht der Enttäuschung ausgelöscht. Wie ein Spieler, der alles, aber auch wirklich alles, auf eine Zahl gesetzt hat, und es kommt eine andere. Oder noch schlimmer: Er bemerkt, wie das Kasino ihm seine Chance durch Betrug vorenthält. Oder am allerschlimmsten: Er verwechselt in Trance die Spiele. Roulettegemäß hat er sich verhalten, aber was tatsächlich stattfand, waren Hunderennen.
Ich glaub, ich will jetzt nur meinen Mut entmutigen. Aber hab ich ihn überhaupt? Meinen Mut? Meine Ängste sind ganz meine eigenen, das weiß ich. Beim Mut bin ich mir nicht sicher, dass ich nicht nur den hab, den er mir macht. Er ist ja scheinbar ein Mutmilliardär, der Herr Geliebte. Und dann auch wieder gar nicht. Manchmal versteinert er für Stunden und traut sich und uns gar nichts zu. Wer nicht von Zeit zu Zeit alles in Frage stellt, sagt er, hat bald weder sinnvolle Fragen noch die geringste Chance auf eine nützliche Antwort.
Mein Mann ist da berechenbarer. Das hat viel Beruhigendes. Vielleicht ist er auch das, was man eine gefestigtere Persönlichkeit nennt. Bei ihm baut man auf sicherem Grund. Aber vom Grundstück des anderen hat man die schönere Aussicht.
Alles ist ungerecht, was ich denke.

(S. 17-21)

© 2020 Paul Zsolnay Verlag Ges.m.b.H., Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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