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Leseprobe: Michael Dangl - Rampenflucht.

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, hat man uns als Kind gesagt. Und wer immer lügt, glaubt sich am Ende selbst nicht mehr. Der Schauspieler kann zwischen seinen eigenen Wahrheiten und Lügen nicht mehr unterscheiden, ihm glaubt man alles und nichts, er ist, hat er es weit in seinem Beruf gebracht, ein alles darstellen könnender, alles glauben machender Schauspieler und unglaubwürdiger, ungläubiger Mensch geworden. Seine Seele steht einsam und frierend auf einem eisigen Feld, vom Wind zerzaust, von Hunden umbellt, doch immer wird seine Richtung weg von den Städten sein, von den Menschen, hin zu dem einzelnen flackernden Licht in der Ferne, das ins Moor führt, ein Irrlicht vielleicht, vielleicht aber auch das Licht … einer Schänke. – Diese Hoffnung stirbt dem Schauspieler zuletzt!

Wie leer seine Wohnung schon aussieht. Er muss das Unternehmen beauftragen, auch seinen Keller zu räumen. Gründlicher Abschied, sauberer Abgang. Kowalsky ist zu Schreibtisch und Tee zurückgekehrt.

Diesem Wahnsinn als Konsequenz versucht der Großteil des Schauspielervolks zu entfliehen (wenn ich von Schauspielern rede, könnte ich immer genauso gut „Schauspielerinnen“ schreiben, sie sind nicht viel anders, die Kolleginnen – außer vielleicht eine Spur leidenschaftlicher, aber auch intriganter –, und auf die Mode der sprachemanzipatorischen Korrektheit pfeife ich, obwohl man das, pfeifen nämlich, im Theater nicht darf); die beliebtesten Fluchtmittel sind das Betonen einer „Normalität“ und das Bewahren einer ironischen Distanz. Hier unterscheidet sich der Schauspielerbeamte vom Schauspielkünstler. Ersterer geht ins Theater tatsächlich wie in ein Amt, in seine Garderobe wie in ein Büro und auf die Bühne wie auf eine Konferenz. Bei Proben wartet er auf Anweisungen, bei Vorstellungen führt er diese aus, dazwischen nutzt er jede Gelegenheit zu Scherzen, Theateranekdoten und banalen Plaudereien. Sein Probenkostüm zieht er mürrisch an und nur, wenn der Regisseur es vorschreibt. Er würde lieber in seiner Strickjacke probieren (eigentlich auch spielen). Für die Pausen (so der Regisseur bei Proben welche macht) hat er Thermoskannen mit Tee mitgebracht und belegte Brote. Er geht sparsam um mit seinen Affekten, mit seiner Stimme, mit seinem Körper, er wittert Verletzungsgefahr, wenn er den Arm heben soll und tauscht Kochrezepte mit der Souffleuse. Er ist ein umgänglicher und oft auch liebenswürdiger Mensch mit dem falschen Beruf, das ist nicht nur schade für ihn, sondern auch tödlich für das Metier. Der andere nämlich, der Schauspielkünstler, geht ins Theater wie Danton in die Bastille (und man weiß nicht: als Ankläger oder schon selbst angeklagt), in seine Garderobe wie der Graf von Monte Christo (hätte er Hofgang gehabt) zurück in seine Zelle, und auf die Bühne mit der inneren Sammlung des Papstes beim Ostersegen. Er kommt zur Probe mit neunhundert neuen Ideen, Gedanken und Fragen und misstraut Antworten und „Lösungen“ bis zuletzt. Bei Vorstellungen versucht er, „neu“, direkt und „da“ zu sein im Gefüge der notwendigen Verabredungen. Dazwischen ist er schweigsam, nachdenklich, verletzlich, konzentriert.

© 2010, Braumüller Literaturverlag, Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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