Wie in diesen Tagen der Entbehrung ich an dich denke? vor allem in unterirdisch so streng geheimen
Schichten, daß wenig davon zu mir heraufdringt. im Hinausschauen aufs neuerdings beleuchtete Zifferblatt von St. Paul Gedanken an dich loszuwerden für Minuten. nach der Venus auszuschauen, gleichfalls ohne dabei in Worten an dich zu denken, mit dir aber eins im gehobenen, dir entgegengehobenen Lebensgefühl – was aber wäre das denn, wenn ich mir im Aufschauen zu unserem Mond oder Abendstern in Worten vorsagen müßte, was du mir bist? manchmal treibt mich jedoch die Jugendfrische einer nun schon drei, wenn nicht fünf Jahre währenden Liebe dazu, daß ich mir, wie am ersten Tag von ihr durchzittert, in stummen Ausrufen Luft machen muß: Unser Mond! unser Abendstern! unsere Kirchturmuhr! unsere Stunde! wie sehr ich sie doch über alles liebe, über alles in der vom Weltall umfaßten Welt! (in diesen Tagen, also Nächten, von dir zu träumen? bringt mir kein Glück. bestürzt aufzuwachen, über Nacht deiner überdrüssig geworden zu sein, obwohl die Frau, die sich da auffordernd an mich schmiegt, mir lang vor meiner Verliebung in dich hingegangen ist) Während Mittagsglockengeläutes in einen reinblauen Himmel aufzuschauen – längst sollte uns ein Aveläuten zusammenläuten! aber daß zwar kräftiges Winden vor sich hertreibt hoch oben einen honigfarbenen Vollmond, der doch seit Tagen zu ihm gemäßer Nachtzeit an Völle verliert? als ein Diktator von Liebesgottes Gnaden wollte ich ihm sein volles Erblühen für den Tag deiner Heimkehr verordnen, vor allem aber Wörter wie ‚schwinden‘ und ‚verblühen‘ mit einem Verbot belegen – guten Glaubens, daß sodann, da Wörter anders als Worte nicht nur Wörter sind, alles das Dauer hat, was, zwar längst aufgeblüht, dank einer Verzögerung des zeitlichen Glücks immer erst jetzt seiner Hochblüte zustrebt.
(S. 16f)
© 2012 Jung und Jung, Salzburg