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9. Jugendfreunde
9.1. Schrebergarten. Walter, Clarisse und Ulrich sitzen um einen Holztisch. Zeitungen werden gelesen. Klassische Musik. Das Knacken des Kamins. Ulrich: Dass ich diesen Mörder gesehen habe. Walter: Welcher Mörder? Ulrich will ihm die Zeitung geben, aber Clarisse schnappt sie Walter weg: Er hat eine Prostituierte erstochen. Liest vor: In der Verhandlung bereitete der Angeklagte der Verteidigug die unvorhergesehendsten Schwierigkeiten. Er saß breit wie ein Zuschauer auf der Bank, rief dem Staatsanwalt "Bravo" zu, wenn dieser etwas von seiner Gemeingefährlichkeit vorbrachte und teilte lobende Zensuren an Zeugen aus, die erklärten, nie etwas an ihm bemerkt zu haben, was auf Unzurechnungsfähigkeit schließen ließe. Walter: Witzig! Und was ist er, zurechnungsfähig oder unzurechnungsfähig? Clarisse: Sie haben ihn schuldig gesprochen. Liest: Nach der Urteilsverkündung erklärte der Delinquent: "Ich bin damit zufrieden, auch wenn ich Ihnen gestehen muss, dass Sie einen Irrsinnigen verurteilt haben." Walter: Irre! Was hat er getan? Ulrich: Er stammt aus ... Clarisse: Tschutschuschien. Ulrich: Er kam als Jugendlicher nach Österreich. Hilfsarbeiter. Vorstrafen wegen Gewaltdelikten. Einmal abgeschoben. Wieder aufgegriffen. In der Psychiatrie interniert. Wieder abgeschoben. Nach Wien zurückgekommen. Hat mindestens eine Gürtelhure auf dem Gewissen. Sie sei ihm nachgegangen. Er habe sein Messer genommen, so lange auf sie eingestochen, bis sie ganz von ihm losgetrennt war. Walter: Seine Leute würden ihn hinrichten. Bei uns kriegt er fünfundzwanzig. Dann umgewandelt zu fünfzehn Jahren. Es gibt kein unzurechnungsfähig. Clarisse: Das musst grad du sagen! Walter: Was soll das? Ulrich zu Walter: Verstehst du nicht: Er hat sie von sich losgetrennt. Von sich! Das ist was, an dem wir alle teilhaben. Verstehst du? Mit unseren Gedankenmorden und Fantasieschändungen. Walter pfeift ironisch anerkennend. Ulrich: Man müsste etwas für ihn tun. Walter: Humanitätsgefasel. Ab nach Afrika. Rübe ab.
© 2006, Sonderzahl Verlag, Wien.
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LITERATUR FINDET STATT
Eigentlich hätte der jährlich erscheinende Katalog "DIE LITERATUR der österreichischen Kunst-,...
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