Einmal bemerkte Lilly: "Nacktschneck, du hast abgenommen. Du siehst jetzt viel besser aus. Bist du eigentlich männlich oder weiblich?"
Rainer Maria: "Von beidem etwas. Ich bin leider weder Fisch noch Fleisch."
Darauf Lilly: "Macht nichts, mir gefällt's. Ich mag Transen, die sind so einfühlsam. Darf ich einmal deinen glitschigen Bauch berühren?" Rainer Maria willigte ein.
Danach stellte Lilly fest: "Na ja, sehr muskulös bist du zwar nicht, aber es fühlt sich angenehm weich und warm an." Vor Rainer Marias Augen tanzten plötzlich hundert rote Herzen. Und trotz der Kälte war ihm heiß.
"Darf ich noch einmal Rilke zitieren?", fragte Rainer Maria. Lilly: "Ja, ich mag Schnecken, die Gedichte aufsagen können." Da sprach Rainer Maria mit zarter Stimme:
"Könntest du ins Herz mir schauen,
sähest du, schönste der Frauen,
doch nur dein eigenes Bild.
So wie im Quell, der so wild
hin durch die Flur eilt geflügelt,
doch sich die Rose gespiegelt."
Lilly: "Hat." Rainer Maria: "Hat?" Lilly: "Gespiegelt hat. 'Hat' hat gefehlt. Sonst war's schön! Und sieh mich bitte nicht so an, das macht mich ganz verlegen!"
(S. 36 f)
© 2008 Deuticke Verlag, Wien.