Leseprobe:
Das Wartezimmer des Gefängnisses glich dem eines Zahnarztes. Bis hin zu den aufgefächerten Broschüren und Zeitschriftenstapeln, und den Menschen mit überschlagenen Beinen, die danach griffen, blätterten, sie zurücklegten. Ein Geruch nach Parfüm schlug uns entgegen, als wir eintraten, intensiv genug, um beim Atmen bitter am Gaumen zurückzubleiben. Ich hatte nicht gewusst, was ich erwarten sollte, aber nach der Stahltür und dem Polizisten hinter Panzerglas, dessen Augen argwöhnisch zwischen unsrren Gesichtern und unseren Pässen hin- und hergependelt waren, hatte ich das Schlimmste befürchtet.
Es dauerte ein paar Minuten, bis die Wirklichkeit aufs Neue durchsickerte. Als Maria und ich uns in eine Ecke setzten, steckten wir noch mitten in einer Unterhaltung. So nahe an einem Wiedersehen sprudelten die Erinnerunen an ihren Vater in ihr hoch wie ein Geysir. Doch irgendwann fiel uns auf, dass die herrschende Stille unser Gespräch gierig aufsog wie ein Schwamm. Die Leute starrten in ihre Zeitschriften, blätterten unauffällig, aber es war nicht zu übersehen, wie sie dabei die Ohren spitzten, mit verzweifelter Neugier, als wären diese flüchtig umherschwirrenden Silben der letzte Halt, an den sie sich klammern konnten, um nicht zurückzustürzen in den Sog ihrer Gedanken. Wir verstummten bald und wechselten nur noch Blicke. So ganz sich selbst überlassen lächelte sie erst noch tapfer. Dann überzog ein wässriges Schimmern ihre Augen. Schließlich gefor ihre Miene zu Eis.
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© 2016 Braumüller Verlag, Wien.