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Tanja Raich: Jesolo.

Roman.
München: Blessing, 2019.
224 S.; Hardcover; 20,60 Euro.
ISBN 978-3-89667-644-3.

Autorin

Leseprobe

Wenn Romanen ein (literarisches) Motto vorangestellt ist, so geschieht das zumeist nicht ohne Grund und kann durchaus in aller Kürze einen tonangebenden Effekt haben. So beginnt Tanja Raichs Debutroman "Jesolo" mit den minimalistischen Zeilen "oltre l'orizzonte / un altro mare / e ancora un mare / ci sarà" des italienischen Liedermachers Gianmaria Testa (1958-2016), dessen Lieder von Melancholie geprägt sind und um Themen wie Einsamkeit, Sehnsucht, verlorene und wiedergefundene Liebe kreisen. Sicherlich lässt eine Ausgangssituation wie jene, dass jenseits des Horizonts ein anderes Meer und (aber) immer noch ein Meer da sein wird, eine Vielzahl an Gestaltungs- und Interpretationsmöglichkeiten offen, aber zumindest formiert sich die Erwartung einer Geschichte, in der es um den Aufbruch zu neuen Ufern geht: Liegt hinter dem "anderen" Meer noch ein Meer, bleibt jeder Schritt ungewiss und doch eine immergleiche Wiederholung, gegen die man sich nicht aufbäumen kann?

LeserInnen folgen dementsprechend auch wirklich einer "Reise" ins Ungewisse, indem sie die Schwangerschaftsmonate der Protagonistin Andrea mitsamt allen damit einhergehenden Veränderungen miterleben. Seinen Ursprung nimmt der Plot auf einer tatsächlichen Reise ins titelgebende Jesolo, dessen Sonnenschirmreihen bunt-flirrend auf dem Buchcover eingefangen sind – ein gelungenes Vexierspiel. Unter der Bonbonfassade dieses alljährlichen Jesolo-Urlaubs brodelt es – Andrea und Georg, beide Mitte 30 und mitten im Berufsleben stehend, sind seit Schulzeiten ein Paar, doch während Georg Nägel mit Köpfen machen will, sieht Andrea immer mehr Gegensätze in Bezug auf ihre Lebensentwürfe, und eingeengt von Routine und gesellschaftlichen Zwängen kommen ihr Zweifel: "Du liegst auf dem Rücken, ich auf dem Bauch." (16) Gleichzeitig wird man Zeuge von Szenen eines "normalen" Beziehungsalltags zwischen Glücksgefühl, Liebe und Wut. In dieser ambivalenten Situation wird Andrea schwanger und begibt sich auf eine Achterbahn von Gefühlen wie Wut, Zweifel und Resignation: "Mein Leben liegt in Trümmern." (65) Schleichend gewinnt bei allem Widerstand, ehrlichen Reflexionen und bösen Beobachtungen das Sollen überhand, worüber auch die Euphorie eines Neustarts nach einem kurzen Trennungsintermezzo nicht hinwegtäuschen kann. Mit jedem Kompromiss wie dem Einzug in Georgs Elternhaus, mit jedem Einlenken wie der Erhöhung des Sanierungskredits nimmt die Fremdbestimmung zu und man wähnt sich als ein Schirmchen in Jesolo: "Wir fügen uns ein. Wir fallen nicht auf. Wir haben: 1 Haus, 2 Autos, 1 Kind." (125)

Die in Meran geborene und in Wien lebende Autorin fängt dieses Sich-Einfügen in Konventionen, das den Roman wie ein roter Faden durchzieht, in einem knappen, klaren, nüchtern-ernüchternden, resignativen Ton ein, beleuchtet es aber auch differenziert, sodass sich beim Lesen sowohl Verständnis für die Protagonistin in ihrem Streben nach Selbstbestimmung als auch ein leiser Widerstand gegen ihre Rebellion einstellen: Ist Andreas "Leid" nicht nur Jammern auf hohem Niveau? Entsprechend offen bleibt das abschließende Kapitel, das die Tage bis zur Geburt hinunterzählt und sich in einer surrealistischen Traumszene – von Wasser geflutet – auflöst. Das Ende "Es sieht genauso aus, wie ich es mir vorgestellt habe." (221) lässt die Frage ungeklärt, worauf dieses "Es" referenziert – ist es gar das Meer jenseits des Horizonts?

Die Rückseite des Covers kündigt an, das "Glücksversprechen" Familie und Mutterschaft zu sezieren – das ist sicherlich gelungen, nicht zuletzt im Vergleich mit Schwangerschaftsromanen wie Ildikó von Kürthys "Unter meinem Herzen". Dennoch handelt es sich um kein radikales Manifest im Stil von Verena Brunschweigers "Kinderfrei statt Kinderlos". Ob hier ein feministischer Roman wie etwa Sheila Hetis "Motherhood" vorliegt, bleibt letztlich den LeserInnen selbst überlassen; die Fragen der Rollenverteilung, die aufgeworfen werden, haben jedenfalls gesellschaftlichen Mehrwert: Ist Mutterschaft Bestimmung? "Darf" man Frau sein, ohne Mutter werden zu wollen?

Miriam Houska
15.05.2019

Originalbeitrag.
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

 

 

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