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Leseprobe: André Heller - "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein."

Zuerst starb der Papst. Das war eine ernste Angelegenheit. Der Generalpräfekt versammelte um sechs Uhr dreißig vor der Frühmesse alle Präfekten, Vizepräfekten und Zöglinge im ungeheizten Theatersaal und verkündete: "Der Heilige Vater ist tot. Jetzt sind wir Waisen. Lasst uns für seine Seele beten, und dass uns die Dreifaltigkeit Trost gewähre." Einige Mitschüler waren klug genug zu weinen. Sie erhielten nach der Trauerveranstaltung von der Schwester Immaculata als Anerkennung ein Stollwerck-Bonbon. Die Schwester war die einzige sichtbare, lebendige Frau im Kollegium. Sie leitete die Krankenabteilung. Dort roch es nach Wundbenzin und Kampfer. Genauso, dachte ich, muss es zuletzt im Schlafzimmer des Papstes gerochen haben. Pius XII. - was für ein schöner Name. Eugenio Pacelli klang noch schöner. Aber so hatte er nur bis zu seiner Wahl als Nachfolger Petri heißen dürfen. Dass die Päpste nicht aus Fleisch, Knochen und Blut waren, sondern aus Stein, wusste ich, denn Jesus hatte seinen Stellvertreter mit den Worten ernannt: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen." Aber rätselhaft blieb, wieso Felsen sterben können und warum ich deshalb jetzt ein Waisenkind sein sollte. Offenbar gab es für jeden von uns einen heiligen Vater und einen unheiligen. Den unheiligen nannte man auch den leiblichen. Es zählt zu den nachhaltigsten Traurigkeiten meiner Kindheit, dass Mutter mich nicht unbefleckt empfangen hat. Was besaß die Mutter Gottes, dachte ich damals, das meiner Mutter fehlte? Sie konnte doch kein seideneres Haar haben, keine größere Sanftmut und kein einnehmenderes Lachen. Dass derjenige, der Mutter befleckte, nach der himmlischen Logik als unheilig galt, war zu verstehen, aber nicht ganz. Denn wie wäre ich wohl in diese Welt gekommen, wenn Vater das Beflecken nicht gelungnen wäre, und wer hätte dann dem Paul Kaltner die Ohrfeige gegeben, die er von mir im Streit bekam und die ihn schlagartig von seinem heftigen Stottern befreite - von anderen Wundern und Heldentaten, die von mir wahrscheinlich in Zukunft noch zu erwarten waren, ganz zu schweigen. (S. 1-2)

© 2008 S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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