Sie scheut sich nicht, ihre Expressivität als Kontrast zum spießbürgerlichen Umfeld einzusetzen. Als im Haus der Freundin ein verärgerter Nachbar auftaucht, um sich über den Lärm der vor seinem Fenster spielenden Kinder zu beschweren, mißt sie ihn mit strengem Blick, sagt: "So ein schöner Mann und so häßliche Worte!" und bringt ihn in derselben Sekunde zum Schweigen. Sie verkleidet sich jedes Jahr als "schröcklicher" Krampus, rasselt mit schwerer Kette durch die Kirchengasse, verteilt Nüsse an Passanten, stellt den Geschäftsleuten die Rute ins Fenster, fordert Reue und ermahnt sie lautstark, bessere Menschen zu werden. Oder sie empfängt am Silvestermorgen in großer Robe die Männer von der Müllabfuhr und entläßt sie mit einem fürstlichen Trinkgeld samt Segensspruch fürs Neue Jahr.
Sie fürchtet die Lächerlichkeit nicht.
Ihre Haltung ist Pose. Die Pose gibt ihr Halt. Schon als Kind warf sie sich in Pose, um eine gewollte Wirkung zu erzielen. Sie lebt ihr Leben nach außen, um es nach innen zu halten. Die Pose gibt ihr die Stärke des Augenblicks und hilft ihr, die Angst zu überlisten. Sie variiert ihre Spielarten: Posen der barocken Lebensfülle, der Energie, des Stolzes, der siegessicheren Schönheit gepaart mit jener der Eroberung. Die Pose als Panzer, als Fassade. Als Schutz vor Verletzung. Aus mangelnder Wärme zu sich selbst. Zweifel, Schmerz und Trauer werden durch Pathos und Pose gefiltert. Sie braucht von beiden eine immer höhere Dosis.
Heinrich nährt ihre Sucht nach immer stärkerem Beifall und schafft den Rahmen für die jeweilige Bewunderungsgemeinde. Er stellt sie in die Auslage und schickt sie auf den Laufsteg. Er selbst bleibt unauffälliger Begleiter.
(S. 162f.)
© 2003, Verlag & Galerie Steyrdorf, Steyr.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.