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So gründlich und wohlkontrolliert die tägliche Reinigungsprozedur auch war - das wöchentliche Bad erhob sich darüber hinaus durch ein genau ausgeklügeltes Ritual zu symbolischer Größe. In sonst nie betretenen Kellerräumen gab es Umkleidekabinen und Duschen mit warmem Wasser. Es herrschte eine genaue Organisation mit ausgeklügeltem Zeitplan und lückenloser Aufsicht. Immerhin mußten in den Nachmittagsstunden jeden Freitag alle Seminaristen von der achten bis zu ersten Klasse durch dieselben vierzehn Duschkabinen geschleust werden. Und das ohne jegliche Möglichkeit, die naturgegebene Schlüpfrigkeit des Reinigungsvorgangs in eine moralische umschlagen zu lassen. Außerdem ging es um die Bewältigung einer Situation, in der ein gewisses Maß an Nacktheit leider unvermeidlich war. Um jegliche Gelegenheit zur - auch nur gedanklichen - Sünde zu meiden, war äußerste Disziplin angesagt. All das wäre ohne exakt durchgeplanten Ablauf kaum möglich gewesen. Dieser Ablauf gestaltete sich so: Im Studiersaal wartete man zur vorgesehenen Stunde auf ein Kommando, das die nächste Gruppe von vierzehn badebereiten Zöglingen zur Reinigung befahl. Mit Handtuch, Badehose und Seife machte man sich auf den Weg. In jeder Umkleidekabine gab es zwei Plätze zum Ablegen und Aufhängen der Kleidung - einen Platz für den gerade unter der Bause befindlichen, den zweiten für den nächsten Duschkandidaten. In diesem Reißverschlußverfahren ging es dahin: Auf Kommando lief man, nur mit der Badehose bekleidet, zur Duschkabine, hinter deren Vorhang es auf Zuruf von außen weiterging. Zuerst kurze Zeit heißes Wasser - vom beaufsichtigenden und befehlshabenden Präfekten gesteuert. Nach dem Abschalten des Wassers ertönte die Anweisung von außen: Einseifen! Nach kurzer Zeit kam wieder Wasser mit dem Befehl: Abwaschen! Dann erst ging es zurück in die Umkleidekabine, in der sich währenddessen der letzte an- und anschließend der nächste ausgezogen hatte. Rot im Gesicht und mit nassen Haaren stieg nun der frischgewaschene Zögling aus den Eingeweiden des Hauses ans helle Licht des Knabenseminars. Das raffinierte System, in wenigen Stunden an die zweihundert Knaben in nur vierzehn Duschkabinen bei voller Wahrung katholischer Sittlichkeit einer gründlichen Reinigung zuzuführen, war von hoher Perfektion. Der im schwarzen Talar schwitzende Präfekt, der den klaglosen Ablauf durch lautstarke Zurufe dirigierte und mit beschlagener Brille beaufsichtigte, blieb als Badeimpression in der Erinnerung haften. (S. 50ff.)
(c) 1998, Otto Müller, Salzburg, Wien. Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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