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Leseprobe: Günther Loewit - "Kosinsky und die Unsterblichkeit"

Fast ebenso unbeliebt wie diese Wochenendausflüge waren die Besuche bei dem alten Bauernehepaar, die an sich nicht so unangenehm gewesen wären. Immerhin war es ein Genuss, im Auto hinter dem Vater zu sitzen, seine Bewegungen am Lenkrad nachzuahmen und so den Wagen in der Phantasie selbst durch das Mittelgebirge zu steuern. Doch sobald die Familie beim Bauernhaus angekommen war, erwartete sie in der schmalen Gasse zum Hof die erste Ernüchterung: ein stinkender Misthaufen, vor dessen Geruch es kein Entkommen gab, der in Sekundenschnelle den Innenraum des Wagens durchdrang und sich in den Kleidern festsetzte.
Der alte Bauer hatte einen weißen Vollbart, sprach nicht viel und machte einen strengen Eindruck. Ganz im Gegensatz zu seiner Frau, die die Kinder herzlich empfing, viel redete und Kaffee für die Mutter und frische Milch aus dem Stall für Julius und seine Geschwister auftischte. In der Zwischenzeit redete der alte Bauer am anderen Ende des Tisches mit dem Vater. Öfter glaubte Julius zu hören, dass da von seinem unbekannte Großvater die Rede war. Scheinbar mit der warmen Milch beschäftigt, versteckte er sein Gesicht in der Schale und lauschte aufgeregt dem Gespräch der Männer. Vom Wald und vom Heustadel oben am Berg war die Rede, und dass es oft knapp gewesen wäre. Die wenigen Worte des Bauern lösten die wildesten Vermutungen in Julius Vorstellung aus. Vom "Versteck"und wie es dem Bauern öfter gelungen sei, die "SS" in die Irre zu führen, sprachen die beiden. Es war das erste Mal, dass Julius mit dem Klang des Wortes "SS" konfrontiert wurde. Vaters Gesicht schien um so angespannter, je freudiger der Bauer in seinen Erinnerungen schwelgte. Gegen Ende der Jause hatte sich Vaters Miene so verfinstert, dass Julius nicht wagte, Fragen zum Gehörten zu stellen.

Obwohl der alte Bauer, mit einer einzigen Ausnahme, nie ein böses Wort verloren hatte, war er eine Respekt einflößende Gestalt und es war den Kindern unverständlich, was den Vater so oft zu ihm trieb. Als die Eltern die Bauersleute einmal gebeten hatten, einen Tag lang auf die Kinder aufzupassen, wurde der alte Bauer zum ersten und einzigen Mal zornig: Sie spielten auf dem engen Hof zwischen dem Stall und dem Misthaufen, in dessen Mitte sich eine betonierte Jauchegrube befand. Sie war mit dicken, verwitterten Brettern abgedeckt. Durch ein faustgroßes Loch in einem der Bretter passte nicht nur die Hand des Bauern, wenn er die Grube abdecken wollte. Mit einiger Mühe gelang es auch den Kindern, an diesem Tag eine im Hof herumliegende grüne Plastikflasche voller Öl durch die Öffnung zu stopfen. Als der Bauer die Tat bemerkte, tobte er und drohte, sie der Ölflasche, die unter der Jauch schwamm, folgen zu lassen. Starr vor Angst und Schrecken warteten sie an diesem Tag auf den Klang des Ford Anglia und die vertrauten Gesichter der Eltern. Im Traum suchten der grimmige Blick des Bauern, die "SS"und der unbekannte Großvater Julius heim und verbanden sich auf unheimliche Weise zu einer angsteinflößenden Bedrohung.

© 2004, Skarabaeus Verlag, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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