"Lebendige Literatur am Liffey"
Ein Septemberwerktag, nachmittags zur High-Tea-Zeit in Dublin. Die Menschen strömen aus den Tintenburgen im Zentrum. Eilen sie zum DART, der Schnellbahn in Richtung Vororte? Oder zu Bewley's, dem "Café Central" der Iren? Ins Pub auf ein schnelles Pint, ehe man sich zu Hause die Pizza mit Mayonaise bestreicht, als handelte es sich um Brot und Butter? Sicher, nicht wenige Dubliner reagieren nach Dienstschluß so. Doch wer glaubt, er könnte als unbedarfter Tourist in einer der zahllosen Buchhandlungen um diese Zeit noch ruhig schmökern, welche Bücher zu erwerben geeignet sind, der irrt gewaltig.
Als gäbe es irgendetwas umsonst, fluten mit einem Mal wahre Massen zu Eason's, der bekannten Buchhandlung auf der O'Connell-Street.
Was, so könnte der Skeptiker nun fragen, ist daran schon Besonderes. Auch beim Frick, beim Kuppitsch oder beim Gerold drängen sich die Menschen. Doch die literarische Manie der Iren ist bei weitem nicht auf die Hauptstadt beschränkt. Selbst im kleinsten Kaff existieren - mitunter sogar mehrere - Buchhandlungen, wohlsortiert und stets auf dem neuesten Stand. Überall das gleiche Bild. Die belagertsten Regale sind jene mit der Überschrift "Irish Interest".
(S. 236)
© 2005, Wieser Verlag, Klagenfurt.