Jetzt ist sie allein.
Als Karl aus ihrem gemeinsamen Schlafzimmer ausziehen wollte, glaubte sie, sie würde sterben, auf der Stelle. In den vierundzwanzig Ehejahren war es noch nie so weit gekommen, und sogar die wenigen Male, da Karl mit der Musikkapelle im Ausland war, fühlte sie die Leere neben sich, fand nur einen nervösen, unruhigen Schlaf, und aufwühlende Träume begleiteten sie. Sie weiß, daß sie sich früher über sein Schnarchen aufgeregt hat, aber stets war die Stille viel schlimmer, wenn sie Karl nicht neben sich wußte, einen Armgriff entfernt, wie er im Takt seines rasselnden Atems ihren Schlaf zerstückelte. Sie flehte ihn an, alles noch einmal zu überdenken, es fände sich schon eine Lösung, und sie käme sich so verloren vor, alleine, in dem großen Bett, ohne ihn, der sie warmhält und sie vor dem Erfrieren bewahrt.
Früher mißbilligte sie jene Ehepaare, die aus irgendwelchen Erwägungen heraus nicht mehr das Schlafzimmer miteinander teilen wollten. Für sie war kein daraus erwachsender Vorteil gut genug, diese Schmach aufzuwiegen, die wie ein wucherndes Geschwür ihre Ehe Stück für Stück zersetzen würde: das auf den Teppich abgesetzte Eisengestell mit der dünnen Matratze, das schlampig übergezogene Laken, die Steppdecke, das Kopfkissen, diese achtlos von ungeübter Männerhand zusammengwürfelte Schlafinsel inmitten des Dielenbodens, in die sie dann Ordnung bringen würde, das Laken ordentlich aufziehen, das große Kopfpolster des Ehebettes holen, auch wenn es einer Einwilligung gleichkäme. Sie könnte nicht anders, und so ist es dann auch geschehen. (S. 229)
© 2001, Skarabäus, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.