Mit besonderer Berücksichtigung von Gertrude Stein ließe sich die Frage "Was ist Wien" abwandeln in "Was kann ich über Wien wissen". Wenn wir im folgenden Stein-Zitat "englische Literatur" mit "Wien" ersetzen - was meiner Meinung nach zulässig sein könnte, weil es um eine allgemeine Frage der Erkenntnis geht -, kommt Folgendes heraus:
Auf jeden Fall ist es eine Freude zu wissen, daß es so viel (Wien) gibt und daß (es) in jedem Augenblick unseres Lebens ganz in uns ist. Auf jeden Fall ist (es) ganz in mir. Auf jeden Fall das ist was ich weiß. Und nun was ist es das ich über (Wien) weiß (das) in mir ist, (das) vollkommen in mir ist in jedem Augenblick meines Lebens. (Wien) ist seit langer Zeit mit uns gewesen, ziemlich viele Hunderte von Jahren, und während dieser ganzen Zeit hatte (es) sehr viel zu tun und hatte auch sehr viel nicht zu tun.
Das Wissen, hier über Wien, ist Gertude Stein folgend "ganz in uns". Jeder und jede hat ein Wien für sich allein und weiß alles über Wien. Gertrude Stein denkt Alles als Kategorie des Einzelnen. So kann man auch Bücher lesen. So kann man auch Romane über Wien lesen: Dass in jedem Wien-Roman alles über Wien enthalten ist; dass wir, wenn wir ihn gelesen haben, alles wissen; dass er uns das Wien in sich erzählt hat und dass wir danach alles über Wien wissen.
(S. 24f.)
© 2003, Löcker, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.