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Linda Stift: Stierhunger.

Roman.
Wien: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, 2007.
172 S.; geb.; Euro 18,40.
ISBN 978-3-552-06068.

Link zur Leseprobe

Es gibt kein Zurück. Kein Entkommen. Das fein gesponnene Netz der Abhängigkeit zieht seine Maschen nur noch enger zusammen, wenn das Opfer strampelt. Für den entscheidenden Befreiungsschlag fehlt die Kraft. Und die Beziehungen. Denn die Außenwelt hat allmählich an Bedeutung verloren.
Linda Stift erzählt in ihrem Roman "Stierhunger", wie eine junge Frau zusehends die Macht über sich selbst verliert. Dabei hat alles ganz harmlos angefangen. Mit einer feinen Dame in Schwarz vor der Auslage einer Konditorei. Mit einer Einladung zum Guglhupf, einem Angebot, das man noch ablehnen hätte können. Letzte Chance. Die Hohenembs mit ihrem Salon, ihren Papageien und ihrer Haushaltshilfe drängt sich ebenso schrullig wie bestimmt in den Alltag der Ich-Erzählerin, bis sie unumstritten den Ton angibt.

Aus der Ferne klingt die Erinnerung an eine Beziehung, an eine Freundin nach, Charlotte, ein letzter Bote aus der Normalität, Charlotte, mit der man über diese Abstrusitäten nicht reden kann oder will. Charlotte, vor der man sich geniert, die eine Szene machen würde, wenn der Stierhunger kommt.
Und der Stierhunger kommt immer wieder. Das erste Stück Guglhupf bei der Hohenembs hat den Rückfall ausgelöst. Das zweite und das dritte Stück haben ihn bestätigt, der weitere halbe Guglhupf zu Hause hat ihn zementiert. Und jetzt kommt er jeden Tag. Mit vollen Einkaufskörben an der Supermarktkasse, mit dem Loslassen alltäglicher Gewohnheiten und Verpflichtungen, mit dem Sich-Zurückziehen auf ein Selbst, mit dem sich zusehends weniger anfangen lässt. Und der Geruch nach Erbrochenem breitet sich in der Wohnung aus.

Ohne dass das Wort Bulimie ein einziges Mal fällt, zeichnet Linda Stift das Psychogramm der Krankheit so unbarmherzig, dass einem nachgerade beim Lesen schlecht wird. Zumal die Autorin durchaus Mut zum Grauslichen beweist und die Ich-Erzählerin uns in die "allerpeinlichsten" Momente ihres Lebens einweiht, die nicht einmal ihre Geliebte und Lebensfreundin Charlotte kennt.

Die Gegenspielerin, die feine Dame Hohenembs, auf geheimnisvolle Weise mit der Schlankheits-Kaiserin Sisi verbunden, verkörpert eine Art vergeistigte Form der Abhängigkeit, was ihr umso leichter fällt, als sie selbst kaum Körper ist. Sie ist der Alptraum, der sich im Kopf abspielt, den Kopf regiert und damit auch ganz ungeniert rundum die Fäden zieht. Sie stiftet unsere Ich-Erzählerin zu allerhand kleineren und größeren Delikten an, stopft ihr unbemerkt im Supermarkt ein paar Dinge in die Tasche, die sie gar nicht mag und nicht einmal im größten Heißhunger anrühren würde (oder doch? Ist nicht alles andere belanglos, wenn erst einmal der Stierhunger kommt?); sie klauen gemeinsam Sissi-Devotionalien im Museum und im Narrenturm und wagen den Anschlag auf ein Denkmal. Schuldgefühle am laufenden Band.

Aber die Umwelt ist gleichgültig, nimmt die irren Damen kaum wahr. Und auch beim Lesen verschiebt sich die Wahrnehmung. Die Hohenembs, anfangs schlicht und einfach schrullig, entwickelt sich zum Monster, zur Wahnsinnigen, die ihr Opfer umkreist, umspinnt und schließlich fressen wird mit Haut und Knochen. Oder ist sie nichts als eine Allegorie? Sind die Hohenembs und der Stierhunger ident, und der ganze Roman spielt sich im Kopf der Ich-Erzählerin ab, die - anfangs eine ganz normale junge Frau, sich Bissen für Bissen im Wahnsinn ihres schlechten Gewissens verliert, das sie schließlich stierhungrig fressen wird mit Haut und Knochen?

Oder sind der Stierhunger und die Hohenembs zwei Spielarten des Wahnsinns, während die Kaiserin Sisi für eine weitere desselben steht? Und das alles in Wien, wo Schrulligkeit und Irresein ja schon per definitionem und Klischee zu Hause sein wollen ...
Der Text der Ich-Erzählerin wird immer wieder durch Erinnerungen einer ungarischen Hofdame Sisis unterbrochen, die Sisi-Erinnerungen nehmen Schaupätze und Themen der Haupthandlung vorweg, als wären die Ereignisse bereits vorherbestimmt. Als gäbe es da eine Funkverbindung zwischen Sisi und der Hohenembs, die der Kaiserin in vielen Kleinigkeiten ähnelt.

So wie bereits in ihrem Erstling "Kingpeng", lässt Linda Stift auch in ihrem zweiten Roman "Stierhunger" einiges offen. Und so wie bereits "Kingpeng" kann man auch "Stierhunger" kaum mehr zur Seite legen, bis die letzte Seite verschlungen, aber keineswegs das letzte Geheimnis gelüftet ist. So klar und schlicht die Sprache, so unaufgeregt das Erzählen, so geheimnisvoll verwobenen sind die beiden Stränge des Erzählens. Und es ist nicht zuletzt dieses Geheimnisvolle, das uns so gefangennimmt.

Sabine Dengscherz
1. Oktober 2007

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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